„The shipping news“ (Schiffsmeldungen) von Lasse Hallström. USA, 2001. Kevin Spacey, Julianne Moore, Judi Dench, Cate Blanchett, Scott Glenn, Pete Postlethwaite, Rhys Ifans
Ich habe zwar den Roman von Annie Proulx nicht gelesen, kann mir aber nach Ansehen des Films sehr gut vorstellen, was Lasse Hallström daran gefallen haben mag, denn er paßt in jeder Hinsicht ausgezeichnet zu den früheren Projekten des alten Schweden: Liebevoll geschilderte Sonderlinge, bunt ausgemalte Geschichte zwischen Humor und Tragik, Geschichten sozuagen, die das (literarisch arrangierte) Leben schreibt, gern auch schöne Landschaften und all das immer in wohltuendem Abstand zum sogenannten Mainstream. Das hat schon angefangen in Schweden mit dem grandiosen und bis heute nicht übertroffenen „Mein Leben als Hund“ und setzte sich dann angenehmerweise auch in Hollywood fort: Gilbert Grape ist da zu nennen ebenso wie John Irving, mit Einschränkungen auch „Chocolat“ und auf jeden Fall der neue Film, der wirkt wie eine weibliche Version eines John-Irving-Romans. Hallström hat daraus gemacht, was er sowieso am besten kann: Einen sehr menschlichen, warmen, einfühlsamen, tiefgehenden und in jeder Hinsicht unterhaltsamen Film.
Die Geschichte des Losers Quoyle, der in eine wüste Ehe mit einer wüsten Frau stürzt, mitsamt der Tochter sitzengelassen wird, den Tod der Gattin und dann auch den Freitod seiner Eltern zu verkraften hat, bis eines Tages seine Tante auf der Matte steht und ihn nach Neufundland zerrt, wo die Wurzeln dieser seltsamen Familie liegen. Logisch, daß dort oben im rauhen Norden aus dem weltfremden, scheinbar zu allem nicht recht tauglichen Zauderer und Schweiger doch noch ein wahrer Mann wird (kein Macho, nein nein, ein Mann mit Niveau!), der für sich kämpfen kann, der seinen Platz, seinen Beruf (als Journalist nämlich) und auch eine Frau findet, die besser zu ihm paßt.
Vieles an dieser Entwicklung ist voraussehbar, weil einige Elemente etwas zu klischeehaft geraten sind: Zunächst der schüchterne, unbeholfene, bis zur Demut genügsame Quoyle, eine Karikatur, die es selbst einem so großartigen Schauspieler wie Kevin Spacey schwer macht, mehr daraus zu formen als nur eine Lachnummer. Er müht sich wirklich redlich, wahrt die Contenance und die Würde, was auch nötig ist, um über die ersten zwanzig, teilweise doch etwas unglücklich geratenen Minuten hinweg zu kommen. Allein die Verbindung mit Petal, einer schrillen, fiesen, egoistischen und in ihrer Ausformung nicht minder klischeehaften und dadurch recht unglaubwürdigen Schlampe, die allerdings Cate Blanchett Gelegenheit gibt, ihre erstaunliche Vielseitigkeit zu zeigen (man vergleiche diese Rolle nur mit Tolkiens Galadriel oder mit „Heaven“!), ist von vornherein ein Ding der Unmöglichkeit, das niemand so recht glauben kann, und ich für meinen Teil war froh, als die Dame endlich das Zeitliche gesegnet hat und der Film zur Ruhe kommt, indem er gen Norden reist. Hier nun findet Hallström seinen eigenen Rhythmus, hat er Zeit und Muße, seine Kunst des Geschichtenerzählens und der Schauspielerführung zu entfalten, hier endlich wird aus einer im Stakkato gerafften Szenenfolge ein richtiger Film mit Spannung und Stil. Die Wendung kommt vor allem mit Judi Dench, der fabelhaften englischen Schauspielerin, die man gern mal wieder ohne Maske sieht und an deren ausdrucksstarkem Gesicht man sich nicht sattsehen möchte. Sie setzt dem hilflosen Quoyle energischen Tatendrang entgegen, sie treibt die Geschichte voran, während Quoyle sich vorantreiben läßt. Dench hat eine originelle, dankbare Rolle und sie gestaltet sie brillant. Und auch Julianne Moore, mit der ich bislang nie so richtig warm werden konnte, besticht hier als alleinerziehende Mutter mit trauriger Vergangenheit durch ihre Ausstrahlung, ihre Wärme, ihre Intensität. Im Zusammenspiel mit Spacey, wenn der sich nicht mehr ganz so anstrengen muß wie zu Beginn, entfalten die beiden, ebenso wie Spacey und Dench etwa, die Faszination erstklassiger Darsteller in schönen Rollen. Hinzu kommen sehr illustre und prägnante Typen für die Nebenfiguren, die jede einzelne plastisch und sehr einprägsam gestalten, sodaß man auf jeden Fall mal wieder von einem perfekten Schauspielerfilm reden kann. Ästhetisch gesehen bietet der Film gute Hollywoodroutine: Bilder und Musik ergeben mitsamt den unvermeidlichen Digitaltricks eine effektvolle Einheit, die neufundländische Landschaft und die rauhe See kommen ebenfalls sehr wirkungsvoll zur Geltung, und überhaupt schafft es Hallström wie immer, uns richtig in die Geschichte und ihre Schauplätze hineinzuziehen. Für meinen Geschmack erzählt er zwar ein paar Geschichten zuviel – in nicht mal zwei Stunden spielt sich doch eine Menge Schicksal an ziemlich vielen Fronten ab (alle haben buchstäblich ihr Päckchen zu tragen, der Quoyle, die Tante, die Tochter, die Kindergärtnerin, die Kollegen in der Redaktion, der Chef und natürlich die ganze Familie Quoyle mitsamt ihrer düsteren Vergangenheit)- , doch insgesamt ist dies doch ein ziemlich schöner, bewegender und überzeugender Film, auch wenn, und da wiederhole ich mich gern, „Mein Leben als Hund“ natürlich besser...blablabla... (8.4.)