„Solino“ von Faith Akin. BRD, 2002. Barnaby Metschurat, Moritz Bleibtreu, Antonella Attili, Gigi Savoia, Tiziana Lodato, Patrycia Ziolkowska, Hermann Lause, Francesco Fiannaca
Wenn unsereiner heutzutage wie normal und selbstverständlich zum „Italiener“ geht, oft genug sogar zu „Amato“, macht man sich natürlich keine Gedanken, welche Geschichte hinter diesem Restaurant stehen könnte. Man hat ein paar smarte Typen mit ziemlich akzentfreiem Deutsch vor sich, im Hintergrund lungert die Mama rum und zapft Bier, der Papa lungert noch weiter im Hintergrund herum und macht gar nichts. Woher sie kommen, unter welchen Umständen sie einst hierher kamen, und was sich vielleicht noch drumehrum so alles abspielte, bleibt unserer Phantasie überlassen. Faith Akin hat nun einen Film gemacht, der uns womöglich etwas auf die Sprünge helfen will, uns die Augen öffnen könnte dafür, daß hinter jeder leckeren Pizza, hinter jedem Gyros, hinter jedem Döner oder was weiß ich, ein bißchen Schicksal steht. So wie das der Familie Amato, Mama, Papa und zwei Jungs, die im Jahre 1964 ihr heimatliches Solino verläßt, um in Duisburg, im grauen, verregneten, schmuddeligen, rußigen Ruhrpott also, aufzuschlagen und sich eine Existenz aufzubauen. Papa geht nur kurz in den Bergbau, dann beschließt er, daß er sich nicht länger die Hände schmutzig machen will, und Mama hat dazu die passende Idee: Warum nicht für all die Landsleute in der Gegend eine Pizzeria aufmachen, wo man richtig essen kann. So geschieht es also, und nun verfolgen wir, was sich zwischen 1964 und 1984 mit dieser Familie ereignet, wir sehen die Brüder Gigi und Giancarlo heranwachsen, Fuß fassen, fließend Deutsch lernen, sich nach Mädchen und Jobs umschauen, wir sehen Paps, wie er Mama betrügt mit einer deutschen Blondine, wir sehen Mama, die mit der Diagnose Leukämie zurück in die Heimat reist, und wir erleben Gigis Zwiespalt zwischen einer Zukunft als vielversprechender Filmemacher und dem verantwortungsvollen Sohn, der die Mama nicht im Stich lassen will. Er entscheidet sich für Italien, der etwas berechnendere Giancarlo bleibt in Deutschland, und erst zu Gigis Hochzeit anno ’84 sieht man sich wieder, nur der Papa hat die Familie endgültig aufgegeben. Unter warmem italienischem Himmel gibt es dann eine allgemeine Versöhnung.
Wenn Akin hier nicht ganz das erreicht, was er sich vielleicht vorgenommen hatte (Vergleiche mit Filmen wie Viscontis „Rocco und seine Brüder“ würde ich da nicht mal anstellen wollen), liegt das an einer gewissen Unentschiedenheit, die man dem Film die ganzen langen zwei Stunden über deutlich anmerkt: Zuerst ist das eine Familiengeschichte, dann eine Gastarbeitergeschichte, dann eine Brudergeschichte und zuletzt nur noch die Geschichte eines der beiden Brüder, Gigis nämlich, und alles andere ist darüber schön langsam ins Hintertreffen geraten. Am Ende respektiert man zweifellos Akins souveräne, gefühl- und taktvolle Erzählweise, seinen Verzicht auf falsches Pathos, auf Klischees oder große Effekte, man stellt aber auch fest, daß unter dem Strich so sehr viel nicht geblieben ist. Keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema erste Gastarbeiter in der BRD einst in den frühen Sechzigern. Das wird zwar angerissen, aber kaum einmal weitergeführt und später verliert sich dieser Faden vollkommen. Die Amatos als Italiener scheinen in Duisburg völlig im luftleeren Raum zu schweben, nie sieht man Landsleute Kontakt aufnehmen, so, als habe es keinen Zusammenhalt der Nationalitäten gegeben, was natürlich falsch ist. Nach sehr vielversprechendem Auftakt über die schwere erste Zeit fällt Akin später nur noch Vages, Unverbindliches ein, konzentriert er sich weitgehend auf die Privatgeschichte, obwohl viele Filmemacher schon bewiesen haben, daß sich die beiden Ebenen vorzüglich koppeln lassen. Auch das Private ist im ersten Teil deutlich eindringlicher, ausführlicher, während die Zeit, vor allem die Jahre zwischen ’74 und ’84, gegen Ende plötzlich sehr rasch vergeht, allzu rasch, denn nicht nur verlieren wir Giancarlo total aus dem Blick, nachdem uns der Herr Papa zuvor schon entschwunden war, auch hätten wir vielleicht gern mehr über Gigis Neuanfang in der alten Heimat erfahren, abgesehen von seinen Flirts mit der schönen Ada, seiner Sandkastenliebe von einst. Akin beschränkt sich auf das gekonnte Inszenieren einiger netter Momente, er vertraut der Fotogenität seiner sicherlich sehr kompetenten Schauspieler und auf seine eigene gefühlvolle Regie, doch dieser Regie ist gelegentlich das Timing abhanden gekommen und eine klare Entscheidung für Prioritäten, und so lassen sich ursprüngliche Ambitionen vielleicht noch erahnen, doch im fertigen Produkt kommen sie nur noch rudimentär vor, und außer einem im Großen und Ganzen ziemlich unterhaltsamen, wenn auch manchmal ein wenig langen Film habe ich nicht mit nach Haus genommen. Es hätte aber mehr werden können. (20.11.)