„Sånger från andra våningen“ (Songs from the second floor) von Roy Andersson. Schweden/Dänemark/Norwegen, 2000. Lars Nordh, Stefan Larsson, Lucio Vucina
Vor allem anderen möchte ich erst mal etwas Grundsätzliches feststellen: Mir ist ein Film, in dem ich eine persönliche Vision, ein persönliches Anliegen, ein persönliches Engagement, eine persönliche Äußerung entdecke, lieber als fast jedes noch so gelungene Routineprodukt. Natürlich gibt es fürchterlich verwirrte Brauseköpfe, exaltierte Spinner, eitle Gecken, durchgeknallte Machos, deren Visionen mir nicht ganz so viel bedeuten, aber immerhin muß man auch dann noch den Mut eines Künstlers anerkennen, sich in dieser (wie in jeder anderen) Form öffentlich zu äußern, etwas zu riskieren. Wenn ein Hollywoodfilm, der den Namen irgendeines beliebigen Regisseurs trägt, einen Verriß erntet, geht das gleich auf das Studio oder sonst einen anonymen Apparat, wenn sich aber ein Filmemacher als Person exponiert, riskiert er, persönlich attackiert zu werden, ohne einen Schutzmechanismus um sich herum, und das ist gleich etwas ganz anderes. Roy Andersson hat so etwas unternommen, und allein dafür schon gebührt ihm großer Respekt. Sein Film trägt die Handschrift eines Filmautors, der etwas sagen, etwas zeigen möchte, der dann auch dafür eintritt, den man also mit dem Film identifizieren kann. In Hollywood ist so etwas kaum noch üblich, aber gottseidank haben wir noch Alternativen.
Sagt eine Frau zu ihrem Begleiter, nachher vor dem Kino, mit abfällig-abwehrender Handbewegung: Das ist doch nur ein Film, der einen frustrieren will. Ganz ehrlich: Scheiß drauf, meine Dame!
Natürlich ist dies ein Film, der einem in bißchen zu schlucken gibt. Eine Art Apokalypse in Standbildern, eine ganz private Stellungnahme zur Condition Humaine am Übergang ins neue Jahrtausend, oder so ähnlich. Andere Interpretationen wären vermutlich genauso gültig, aber immerhin hat man hier mal wieder was zu interpretieren. In fast fünfzig ganz starr gefilmten Tableaus entwirft Andersson ein zunehmend düsteres und bedrohliches Universum einer Gesellschaft, die langsam in den Untergang driftet. Es fängt noch halbwegs alltäglich und nachvollziehbar an: Eine Firma steckt in der Krise, ein altgedienter Mitarbeiter verliert seinen Arbeitsplatz, dann brennt der laden plötzlich ab und von nun an weitet sich das Spektrum der fragmentarischen Erzählung spinnennetzartig immer weiter aus. Es tauchen weitere Randfiguren auf, deren Geschichte dann gleich mit integriert wird, und so geht es weiter und weiter, bis sich dann die Anzeichen für einen globalen Zusammenbruch häufen: Fein befrackte Börsianer oder Geschäftsleute ziehen durch die Straßen und kasteien sich öffentlich. Tausende von Autos verstopfen die ganze Stadt. Kinder werden mit großem Zeremoniell eine hohe Klippe hinabgestürzt, und zuletzt trifft sich das ganze Personal auf dem Müllplatz, wo gerade ein frustrierter Typ hunderte von billigen Jesusfiguren abgeladen hat, mit denen er doch nicht die erhoffte Kohle machen konnte. Man trifft sich in Bars, U-Bahnen, draußen auf der Straße am Mülleimer, in Sitzungsräumen, in einer psychiatrischen Klinik, im Kabarett, im Krankenhaus oder in der privaten Wohnung. Es herrscht kaltes, trübes Licht, die Menschen sehen kalt und trübe aus, sie tragen gern farblose, grau-braun-matschfarbene Mäntel, ihre Gesichter sind beschmiert mit Ruß oder Blut. Manchmal brechen unmotivierte Aggressionen los, manchmal spenden sie sich noch Trost, manchmal verzweifeln sie auch am Wahnsinn der anderen oder an der eigenen Erfolglosigkeit, und die verblieben Reichen versuchen in einem grotesken Wettrennen, die letzten Plätze im rettenden Flugzeug zu erreichen. Die Fragen stellen sich beim Hingucken von alleine ein: Was geschieht mit den Leuten, wenn sie den Halt verlieren, wenn ihr Stolz in Gefahr ist, ihre Sicherheit, wenn die alten, sicher geglaubten Regeln nicht mehr funktionieren, wenn das ganze System kollabiert, wenn die Wirtschaft keinen Gewinn mehr macht, wenn sich geschäftlicher und privater Mißerfolg ergänzen, überlagern, wenn die einen nach Sündenböcken suchen und die anderen nur noch versuchen, ihre Haut zu retten.
Wenn man dies auf sich wirken läßt, ist das mal komisch, mal bitter, mal melancholisch, mal sarkastisch. Die Assoziationen gehen mal in Richtung Beckett, mal in Richtung Greenaway oder manche holländische Filme. Ein ganz moderner und zugleich auch universeller Film, der dem Zuschauer schon während des Sehens viel Raum gibt, innere Phantasien zu entwickeln, eben weil er so wenig tut, um Auge und Geist abzulenken oder auf sich zu ziehen. Man saugt die Tableaus in sich auf, kann jedes Detail wahrnehmen, weil man die Zeit dazu hat und weil nicht alle zwei Sekunden ein Schnittstakkato dazwischen platzt oder eine Geräuschorgie die Sinne lähmt. Wohltuend und beunruhigend zugleich, denn je freier man assoziiert, desto dunkler können diese Gedanken natürlich auch geraten, und gerade gegen Ende des Films werden auch die Szenen immer surrealer, grotesker und düsterer. Ob man all dies nun mag oder nicht, ob es einem etwas sagt oder gar nichts, ob man es für pessimistischen Weltuntergangsunsinn hält, oder doch den schwachen Hoffnungsschimmer am Horizont sehen möchte, ist dies doch eine beeindruckend und in vieler Hinsicht absolut einzigartige künstlerische Leistung. Ich für meinen Teil fand auch etliches darin inhaltlich sehr bedenkenswert, aber von einer Botschaft mag ich doch nicht sprechen, denn das wäre allzu uncool. (18.7.)