„Taking Sides“ (#) von Isztván Szabó. Frankreich/BRD/England, 2001. Harvey Keitel, Stellan Skardgård, Moritz Bleibtreu, Birgit Minichmayr, Ulrich Tukur, Hanns Zischler, Oleg Tabakov

Der Fall Wilhelm Furtwängler: Ein in der ganzen Welt gerühmter Dirigent, der für die Nazis spielt, der vor Hitlers Geburtstag spielt, der vor dem Reichsparteitag in Nürnberg spielt, der Goebbels die Hand schüttelt, der von Göring und Goebbels abwechseln nach oben befördert wird, der Hitler zum Geburtstag gratuliert. Der aber auch nie in die Partei eintritt und in dem Ruf steht, zahlreiche Juden vor den Nazis gerettet zu haben. Nach dem Krieg zunächst Berufsverbot, und nun wollen die Amerikaner klären, wie es weiter gehen soll. Major Steve Arnold, von Haus aus ein Versicherungsmann mit Schwerpunkt Schadensregulierung, unterzieht Furtwängler und einige Musiker aus den Berliner Philharmonikern langen Verhören, um sich das bestätigen zu lassen, was er fest glaubt: Alle Deutschen sind Nazis, und Furtwängler erst recht. Schließlich hat er zur Hälfte Erfolg: Furtwängler wird entlastet und arbeitet bis zu seinem Tod 1954 weiter in Berlin, doch darf er niemals in Amerika auftreten. Sein Nachfolger wird – eine hübsche ironische Fußnote aus dem Kapitel deutsche Vergangenheitsbewältigung – ausgerechnet der von ihm eifersüchtig gefürchtete und gehaßte Herr von Karajan, der ja auch nicht gerade ein Widerstandskämpfer gewesen war.

 

Manchmal hat man ja Glück, und irgendwie wird verhindert, was eigentlich unvermeidlich schien. Nach „Mephisto“ und all den anderen Machwerken Szabós hatte ich einen weiteren langatmigen, breiten Ausstattungsfilm erwartet, einen von denen, die sich hauptsächlich in Dekors und Tableaus suhlen und ganz nebenbei kritische Inhalte zu transportieren vorgeben. Diesmal ist es ganz unerwartet anders gekommen, denn der Film basiert auf einem Theaterstück, und Szabó hat die Intensität der langen Verhörszenen beibehalten und drumherum relativ wenig Pomp und Beiwerk gepackt. Im Mittelpunkt stehen deutlich die hitzigen, eindringlichen und hochinteressanten Gespräche zwischen Arnold und den Deutschen, steht die emotionsgeladenen und komplexe Beziehung Arnolds zu seinen beiden jungen Assistenten, einem jüdischen Offizier und einer deutschen Sekretärin, deren Vater als aufrechter Widerständler geehrt wird. Es geht um Themen wie Schuld, Verantwortung, Kunst und Politik. Arnold ist uns dabei näher, er treibt das Geschehen voran, an seiner oft etwas obsessiven Haltung reiben wir uns als Zuschauer. Zuerst gibt er den typischen, provokativ kulturlosen Amerikaner, der den Dirigenten einen Bandleader nennt, die gesamte europäische Kultur mit Verachtung straft und verbissen sein Ziel verfolgt, diesen miesen Nazi so richtig fertigzumachen. Er will Furtwängler demütigen, läßt ihn stundenlang warten, spielt Spielchen mit Stühlen, läßt ihn stehen, behandelt ihn zynisch, aggressiv, macht aus seiner vorgefaßten Meinung keinen Hehl und gerät dauernd mit den beiden Jungen in Konflikt, die dem Dirigenten mit aus ihrer Sicht angemessenen Respekt begegnen wollen. Hat dieser Furtwängler, der ganz unbestritten der Selbstdarstellung des Nazisystems mit seinen erfolgreichen Konzerten gedient hat, also Anerkennung und Respekt als Künstler verdient, oder ist er nur ein Mitläufer, ein Opportunist, ein von den hohen Schergen geschätzter und protegierter Intrigant. Es prallen in dem Film exemplarisch diese zwei Positionen aufeinander, die immer wieder aufeinander geprallt sind in den jahrzehntelangen und bis heute nicht beendeten Debatten: Arnold zeigt Greuelfilme aus den befreiten KZs, zeigt den fassungslosen Deutschen Leichenberge, unfaßbares Elend. Er fragt Furtwängler, weshalb er nicht, wie viele seiner Kollegen, gleich 1933 oder 34 emigriert ist, dem System den Rücken gekehrt hat. Furtwängler antwortet, er als Nichtjude habe nicht die gleiche Notwendigkeit gehabt, immerhin sei Deutschland seine Heimat gewesen, er habe anfangs nicht die Ausmaße kommende Untaten absehen können und versucht, innerhalb des Systems seinen Beitrag als Künstler zur Aufrechterhaltung von Menschlichkeit und Kultur zu leisten. Als Zuschauer sind wir hier gefordert, mitzudenken, uns unserer eigenen Position zu vergewissern. Hat Beethoven Menschenleben gerettet, ja oder nein, hat eine Symphonie von Bruckner die Barbarei verhindern können, ja oder nein. Die Antwort  ist sicherlich klar, und hier sind wir sicherlich auch auf der Seite Arnolds, der immer wieder fragt: Wenn angeblich niemand gewußt hat, daß es KZs gibt und was in ihnen vorgeht, wieso mußten denn Juden versteckt, in Sicherheit gebracht werden? Zweifellos hat er die besseren Argumente, geben wir ihm in den meisten Dingen recht, und doch hindert uns natürlich seine gesamte Attitüde daran, uns mit ihm zu identifizieren. Sein Urteil ist vorgefaßt, sein Denken voller Klischees, voller Haß, er gibt Furtwängler gar keine Chance zur Verteidigung, ignoriert die Feststellung, er habe Juden gerettet und reitet immer nur auf den Schwachpunkten, den Verfehlungen herum. Das bringt uns gefühlsmäßig gegen ihn auf, obgleich das lachhafte, idiotische und höchst intrigante Verhalten einiger der Musiker ihn stets aufs Schönste bestätigt, sein Benehmen ist manchmal empörend, selbstgerecht, erniedrigend. Seine Sekretärin sagt es ihm – sie sei einst von den Nazis verhört worden und das sei genau so gewesen. Auf der Gegenseite bleibt Furtwängler ein wenig farblos, ein halb gebrochener, verstörter Mann, der sich kaum zu verteidigen weiß, der Arnold aber immerhin zu Recht darauf hinweist, daß der keinerlei Einblick in die Lage vieler Menschen im Nazireich hatte. Manche fragen allerdings, die wir gemeinsam mit Arnold gern beantwortet gesehen hätten, bleiben offen: Lassen sich Kunst und Politik wirklich so gut trennen, wie Furtwängler behauptet, gab es tatsächlich eine Möglichkeit für den Künstler, humanistisch zu wirken in einem Staat, der von Terror und Kulturlosigkeit bestimmt war, wie war sein Verhältnis zu den Führern des Regimes tatsächlich – waren all die Prestigekonzerte bei innerem Widerstand wirklich nur Kompromisse, die er halt machen mußte, oder genoß er nicht am Ende doch den Ruhm, mit dem ihn die Nazis überhäuften und der ihn zu einer exponierten und allseits bewunderten Persönlichkeit machte. Der Film berührt auf dieser Weise viele sehr spannende Aspekte, schlägt sich natürlich nicht leichtfertig auf die eine oder andere Seite, und gibt zwei glänzenden Schauspielern viel Freiraum zur Entfaltung, was Keitel und Skarsgård mit brillanten Darstellungen honoriert haben, und wenn die Position der beiden jungen Leute teilweise etwas diffus bleibt, so bilden die beiden doch ein faszinierendes Duo, das den Film allemal zu einem sehr spannenden, intensiven und nachhaltig wirkenden Erlebnis macht, wie ich es ehrlich gesagt von Szabó nicht erwartet hatte. (11.3.)