„Väter“ von Dani Levy. BRD, 2002. Sebastian Blomberg. Maria Schrader, Ezra Valentin Lenz, Ulrich Noethen, Christiane Paul, Rolf Zacher, Rosel Zech, Marion Kracht, Lena Stolze, Georg Tryphon

Was wurde uns in den diversen Trailern zu dem Film untergejubelt? „Vater sein ist das letzte Abenteuer“ oder „In jedem Vater steckt ein Sohn“ oder ähnlicher Blödsinn. Kann man alles schnell vergessen, denn das hier ist keine Neuauflage von Heinz Rühmann, weder irgendein biederes Rührstück noch eine heiter-besinnliche Familienkomödie, dies ist ein Alltagsdrama im allerbesten und allerechtesten Sinne des Wortes, ein Film, der tatsächlich mal aus dem sogenannten wirklichen Leben gegriffen wurde, der uns, den Vätern vielleicht etwas mehr als den Müttern, aber trotzdem, sehr sehr nahe kommt und der uns auch sehr nahe geht. Dani Levy war schon immer ein Spezialist für sehr emotionale Filme, Filme, die es auch mal riskierten, übers Ziel hinauszuschießen, was ihrer Qualität nicht immer ganz so gut bekam, aber dieses Mal hat er in jeder Hinsicht voll ins Schwarze getroffen, dies ist ein ganz großer Film, sein bester allemal und auch einer der besten der jüngeren deutschen Filme. Der Mut zur Echtheit, zur Direktheit, zur emotionalen Nähe und Nacktheit, hat sich einmal voll ausgezahlt, vielleicht weil das Thema es einfach mal hergegeben hat: Ein Ehepaar zerstreitet sich, der Alltagsfrust türmt sich auf beiden Seiten, der Mann denkt nur an sein berufliches Fortkommen, wird immer unzuverlässiger, die Frau fühlt sich mit ihrem eigenen Beruf, dem Haushalt und der Erziehung ihres Kindes Benny allein gelassen. Sie reagiert unzufrieden, gereizt, vorwurfsvoll, er blockt ab, wird wütend, greift auch gern mal etwas mehr zur Flasche. So sehr er sich im beruflichen Erfolg sonnen kann, so kraß wirkt auf ihn das Kontrastprogramm zuhause. Hier ist er nicht der neue Stern am Himmel, sondern nur der Familienvater, der verdammt noch mal auch ein paar Pflichten übernehmen kann. Eine Konstellation, wie man sie überall findet, wie sie viele selbst schon durchlebt oder andere davon erzählen hören haben. Dann eines Tages kocht der Topf über, die Frau geht und sie nimmt den Jungen mit. Plötzlich verlagert sich der Kriegsschauplatz, plötzlich geht es nicht mehr um eine kriselnde, oder sogar bereits gescheiterte Ehe, sondern es geht um das Umgangsrecht des Vaters. Der tobt, rastet aus, besteht darauf, seinen Sohn regelmäßig sehen zu dürfen, die Frau blockt ab. Es wird immer hitziger und dramatischer, zumindest sein Leben entgleist völlig, als er einsieht, wieviel ihm das zuvor häufig vernachlässigte Kind eigentlich bedeutet, wie sehr er abhängig war von der Liebe und dem Rückhalt seiner Familie. Er kämpft verzweifelt, durchbricht alle Grenzen, gefährdet letztlich seine Zukunft mit dem Kind total, doch scheint er auch irgendetwas in seiner Frau anzustoßen, so daß sich beide am Schluß wenigstens ein Stück aufeinander zu bewegen und er mit Benny seine eigene, früh schon vom Vater geschiedene Mutter in der Bretagne besucht.

 

Sicherlich schlagen die Wogen der Gefühle hier und da sehr hoch, hätte man die eine oder andere Szene etwas weniger überspitzt darstellen können, doch erstaunlicherweise wirkt der Film auf mich dennoch absolut echt und realistisch, geradezu schmerzhaft realistisch in extrem vielen Details. Wieviele Sprüche hat man so oder so ähnlich selbst schon gehört, wieviel der Situation schon durchlebt, wieviel erbitterte Streits in dieser Art ausgetragen, wie oft die keifende Alte verflucht und wie oft, nach einer Weile, doch eingesehen, daß sie aus ihrer Sicht auch Recht haben könnte. Levy bleibt bei alledem außerordentlich fair – niemand hier wird verurteilt, niemand hat mehr Recht als der andere, jeder hat seinen Standpunkt, sein recht darauf, eben mit dem Risiko, andere damit zu verletzen. Man versteht sowohl ihn als auch sie, ihn, den kleinen Jungen, der am liebsten für nichts außer höchstens für sich selbst Verantwortung übernehmen würde und ihre Situation vollkommen mißachtet, sie, die schließlich den Jungen, ob bewußt oder nicht, auch als Druckmittel gegen ihn benutzt und dies später eingestehen muß. Es ist dies keineswegs ein Film für Männer, die sich im Kino gegen die ewig nölenden Weiber verbünden und ihre neue Identität als freie Väter feiern können, es ist am ehesten ein Film für Ehepaare, die sich vielleicht dadurch angestoßen fühlen, mal wieder etwas mehr miteinander zu reden, sich auszutauschen, sich zuzuhören, sich um etwas mehr Offenheit und Verständnis zu bemühen. Levy allerdings macht daraus gar keinen großen Punkt. Er führt uns sein Drama vor, mitreißend, spannend, sehr nah dran mit der unvermeidlichen Digitalkamera (die aber sehr dezent und funktional im Hintergrund bleibt), er ist stets unmittelbar und dicht am Geschehen, er spielt kompromißlos auch solche Szenen aus, die man am liebsten weggeschnitten haben möchte und er setzt mit Recht auf grandiose Darsteller, die ihre Figuren vollkommen verkörpern. Besonders die Szenen zwischen den Eheleuten, zwischen Blomberg und Schrader, sind in ihrer Intensität und ihrer Wahrhaftigkeit erschütternd und beeindruckend, und auch Nicht-Väter werden die Emotionen des Mannes verstehen, der sich plötzlich seiner eigenen Gefühle und Bedürfnisse bewußt wird und der sich mit aller Kraft an den einzigen Menschen klammern möchte, an den er glaubt, der ihm etwas geben kann. Das hat gar nichts mit Vater-Sohn-Romantik zu tun, sondern ist Stoff für reichlich Konflikte, vor allem für das arme und total überforderte Kind (der Bursche ist gerade mal fünf), sorgt für Mißverständnisse, gewaltsame Auseinandersetzungen und ein paar höchst demütigende Momente. Levy läßt uns dabei keine Wahl – entweder man geht mit den Leuten dort hindurch, oder man verläßt den Saal, eins von beiden geht nur, Distanz gibt es nicht, aber auch keine billige Manipulation, sondern eben jede Menge Leben. Ich jedenfalls war sehr bewegt, so bewegt, wie schon lang nicht mehr, jedenfalls nicht auf einer sehr privaten Ebene. Ein großartiger Film, wie gesagt. (4.10.)