„A la folie...pas du tout“ (Wahnsinnig verliebt) von Laetitia Colombani. Frankreich, 2002. Audrey Tautou, Samuel le Bihan, Isabelle Carré, Clément Sibony, Sophie Guillemin

Mit der berühmt-berüchtigten amour fou ist das ja so eine Sache. Es kann ein nettes, provokantes Spielchen sein, oder in ein finsteres Drama münden. Man kann sie, wie einst die Surrealisten Dalí, Buñuel oder Breton, als Instrument gegen die Verlogenheit und Spießigkeit des Bürgertums einsetzen, keck, frivol und gezielt skandalös, oder man kann sie, wie es die Amis gern tun, als Ausgangspunkt für irgendein modisches Gemetzel verwenden. Vor allem die Franzosen haben immer mal wieder (Chabrol beispielsweise) diskrete aber recht bösartige kleine Kammerspiele daraus gemacht, Filme über die hübsche Oberfläche und die Abgründe darunter. Und da dies ein französischer Film ist (gottseidank kein amerikanischer!), ahnt man schon, welcher Tradition er sich anschließt, was man aber nicht ganz ahnt ist, daß er das in so vortrefflicher Manier tut. Wenn es jemals in letzter Zeit einen genußvoll-sadistisch-abgründigen Film gegeben hat, dann sicherlich den hier!

Er bedient sich des nicht mehr ganz neuen Kniffs, die gleiche Geschichte zweimal zu erzählen, aus zwei unterschiedlichen, einander quasi ergänzenden Perspektiven: Der einer Frau und der eines Mannes. Die Frau fängt an – Angélique ist ein süßes, verträumtes, zerbrechliches Mädchen, das offenbar heillos verliebt ist in Loïc, einen verheirateten Arzt, der ihr (Männer sind sooo gemein) falsche Versprechungen machte und sie nun grausam am langen Arm verhungern läßt. Seine Frau ist obendrein schwanger und die arme Angélique wird immer wieder versetzt und sie leidet, obwohl sie ihren Geliebten gegen die Angriffe von Freunden verteidigt und tapfer weiter hofft. Doch ihr Leben gerät langsam aus den Fugen: Das Haus, wo sie für ein Jahr einhüten soll, verwahrlost zusehends, es häufen sich mysteriöse Unfälle und schließlich wird Loïc beschuldigt, eine zudringliche Patientin belästigt und sie sogar später als Zeugin in einem drohenden Prozeß getötet zu haben. Und hier irgendwann schaltet sich auf dem Off der Spielleiter und spult die ganze Geschichte im schnellen Rücklauf wieder auf Null. Nun erleben wir die Ereignisse aus Loïcs Sicht, und urplötzlich sieht alles ganz anders aus. Aus der süßen, bitteren, enttäuschenden Romanze wird eine Gruselstory, die es in sich hat. Häppchenweise werden in Loïcs Erinnerung die Lücken aufgefüllt, werden die Dinge erklärt, die uns zehn Minuten zuvor noch in einem ganz anderen Licht erschienen waren. Aus dem unschuldigen, hilflos den eigenen Gefühlen ausgelieferten Mädchen wird plötzlich eine fanatische, mehr und mehr beinahe monströse Psychopathin, die den glücklich verheirateten Mann systematisch bedrängt, ihm nachstellt, ihn schließlich mit allen Tricks der Zunft gezielt von seiner Frau zu trennen versucht, und die, als all diese Versuche nicht fruchten, die Schwangere mit dem Motorrad attackiert und eine Fehlgeburt auslöst. Die zuvor noch eher friedfertige, wenn auch etwas irritierende Atmosphäre wird zunehmend unheimlicher, beängstigender, düsterer, und diese Transformation wird mit vollendeter Leichtigkeit und Kunstfertigkeit vollzogen, ganz locker und wie nebenbei, ohne große Anstrengung, ohne schrille Töne und vor allem ohne schrille Effekte. Loïc wird zum Opfer einer zu allem entschlossenen, monomanischen Intrigantin, die ihn fast in den Knast bringt, bis in letzter Sekunde die zuvor wütend abgerauscht Ehefrau zurückkommt und ihn rettet. Auf dieses neue Glück und auf die Tatsache, daß der Geliebte mitsamt seiner Praxis das Feld zu räumen beabsichtigt, reagiert Angélique schließlich mit Gewalt: Sie brät Loïc eine schwere Plastik über den Schädel und tötet ihn fast. Dafür kommt sie in die Psychiatrie, doch geheilt wird sie nicht gerade...

 

Eine brillant konstruierte Studie des Wahnsinns, natürlich auch ein selbstzweckhaftes Spielchen mit den Emotionen der Zuschauer, aber so bestechend vorgeführt und so vergnüglich und fies zugleich, daß es einfach unwiderstehlich ist. So unwiderstehlich wie Audrey Tautou, die ihre engelsgleiche, fast unirdische Aura perfekt einsetzt, zunächst, um uns fast zerfließen zu lassen vor Empathie, und später dann, um uns vor Furcht frieren zu lassen. Ihre ganze Darstellung ist besonders perfide und gemein, weil die Verwandlung so genial gelungen, weil die Übergänge so fließend sind, und weil man sich eigentlich, auch zuletzt nicht, so ganz sicher sein kann, welche der beiden Versionen nun die zuverlässigere ist. Als Zuschauer erkennt man einmal mehr die eigene Manipulierbarkeit, die Abhängigkeit von Bildern, die Lenkbarkeit von Emotionen, und während man häufig im Film dabei ein ungutes oder fast beschämendes Gefühl bekommt, macht die Sache hier teuflisch viel Spaß, weil die Regisseurin uns offenkundig nicht belehren oder sonstwie didaktisch instruieren, sondern uns lediglich auf einen schaurig-schönen Gruseltrip schicken möchte. Das ist ihr so glänzend gut gelungen, daß sich auch die Herren aus Hollywood eine dicke Scheibe davon abschneiden könnten, obgleich ich meine Zweifel habe, ob sie’s wenigstens dann richtig hinbekommen täten. (2.9.)