„Musime si pomahat“ (Wir müssen zusammenhalten) von Jan Hrebejk. Tschechien, 2001. Boleslav Polivka, Anna Siskova, Jaroslav Dusek, Csongor Kassai, Jiri Pecha, Simona Stasova
Die ganze großartige osteuropäische Filmtradition – wo ist sie bloß geblieben? Verbannt ins Spätprogramm der wenigen TV-Sender mit Anspruch, und sonst? Wenn man Glück hat und es hat wieder eine Oscar-Nominierung gesetzt, ja dann darf man möglicherweise damit rechnen, daß so ein Film mal eine verschämte Woche lang in unseren Kinos versteckt wird. Aber abgesehen davon ist jedes Remake aus Hollywood, ist jedes neue als Kinofilm getarnte Computerspiel, und sei es noch so blöd und geistlos, scheinbar interessanter und aufregender, als Filme, die uns eigentlich viel näher stehen sollten und die vor allem auch noch was zu sagen haben.
Der andere Grund liegt zugegeben auch in den Verhältnissen drüben im Osten. Den einzelnen Ökonomien geht es wohl nicht sonderlich gut, und die jeweilige Filmkultur ist entsprechend den sprichwörtlichen Bach heruntergegangen. Nicht nur bei den Tschechen, auch leider bei den Polen und den Russen, bei all jenen also, die uns immer in schönen Abständen mit Meisterwerken und wunderbaren Filmen beglückt haben und nun in die Schublade der selten gesehenen Exoten verbannt werden müssen.
Aber was nützt das Heulen und Wehklagen? Es ist wie es ist, seien wir im Gegenteil dankbar, daß es eben wieder mal so weit war und eine Nominierung vom Himmel regnete, und also dürfen wir uns dieses Jahr auch an einem einzigen tschechischen Film erfreuen (wer weiß – vielleicht war das schon deren Jahresproduktion im Ganzen?)
Dieser Film ist eine Komödie. Und eine Tragödie. Großes, tief empfundenes menschliches Drama. Und verschmitzte Groteske. Ein Film von Leid und Schuld. Und ein spöttischer Bericht über Angepaßte, Wendehälse, Mitläufer und Kollaborateure. Kurz, ein Film, wie ihn eben nur die Künstler aus jenen Ländern hinkriegen, die selbst im Krieg so furchtbar gelitten und anschließend verschiedenen Formen entwickelt haben, um für sich damit fertig zu werden. Ein Meisterwerk? Aber sicher.
In einer tschechischen Kleinstadt wird ein Jude, der gerade noch, als einziger seiner Familie, aus dem KZ entkommen konnte, bei einem kinderlosen Ehepaar versteckt. Vor dem Krieg war er der Sproß einer einflußreichen, hoch angesehenen lokalen Industriellenfamilie, nun haben sich die Vorzeichen geändert: Einstige Untergebene sind nun die Chefs, kollaborieren mit den Nazistatthaltern, während andere, obgleich sie sich nicht offen zur Wehr setzen, wenigstens in ihren vier Wänden ihre Integrität wahren und eben von Fall zu Fall auch mal einen flüchtigen Juden verstecken. So wie Marie und Josef (!), die allerdings in hochnotpeinliche Situationen geraten, ständig kurz vor dem Auffliegen stehen und schließlich zum Äußersten gehen müssen, um eine Notlüge nachträglich zu untermauern: Um einen Nazi nicht bei sich aufnehmen zu müssen, erklärt Marie, sie sei schwanger und man brauche nun das zweite Zimmer. Nur kann leider, was eigentlich in der Nachbarschaft bekannt ist, Josef keine Kinder zeugen, also muß David, der versteckte Jude, ran und Versäumtes nachholen. All dies wird mißtrauisch beäugt von Horst, einem Musterkollaborateur, dem es seinerseits nach der Machtübernahme der Roten, schlecht ergeht. Nun sind die anderen sm Drücker, nun kriechen auch die übelsten Denunzianten aus ihren Löchern und geben vor, die ganze Zeit aufrechte Kommunisten gewesen zu sein. Josef kann Horst, mit dem er trotz allem irgendwie verbunden ist, retten, in dem er ihn als Geburtshelfer ausgibt, und am Ende stehen alle, ehemalige Braune, frischgebackene Rote, Juden, Judenverräter, Mitläufer und was auch immer, um das Neugeborene herum und freuen sich. Anderntags allerdings, als Josef mit dem Kinderwagen durch die Trümmer seiner Heimatstadt schiebt und zwischen den Ruinen die Geister all der Verschleppten und Ermordeten sieht, ist dieses Glück verflogen.
Immer geht es haarscharf am Abgrund entlang – das fröhliche Gelächter vom letzten Moment verstummt jäh, wenn uns der grausame Ernst der Situation wieder zu Bewußtsein kommt, kurz darauf kommt schon wieder irgendein verrückter Unfug, und so läuft es weiter bis zum Schluß. Da bleibt dann die Tragödie doch vor unseren Augen stehen, das plötzliche Innehalten auf dem Weg in eine optimistische Zukunft, die bestürzende und lähmende Erinnerung an Leid, Tod, Mord, Willkür und jahrelange Todesangst. Die Erinnerung an Menschen, die immer Nachbarn gewesen waren, Mitmenschen, Freunde, Kollegen, was auch immer, und die dann auf einmal Juden waren, fliehen mußten, in Massen weggekarrt wurden in die Vernichtung oder nach Theresienstadt, von wo aus dann merkwürdige Briefe nach Hause kamen. Zu keiner Zeit verliert der Film diesen Hintergrund aus den Augen, verrät ihn niemals leichtfertig an Albernheiten oder dumme Kalauer, selbst in Augenblicken respektloser und auch sehr bissiger Komik steht die große Tragödie sichtbar dahinter. Das ist die Kunst dieses (nebenbei brillant gespielten) Films, das macht sozusagen seien humanistische Dimension aus, denn es ist ein sehr menschlicher Film, durchaus satirisch scharf, mit präzisem und wenig nachsichtigen Blick auf alle anwesenden Gruppierungen – denn Helden sind in diesem Szenarium nicht zu finden – und auch einige recht übermütige oder versöhnlich anmutende Szenen können wohl nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier der tschechischen Kriegsgesellschaft kein sonderlich heroisches Zeugnis ausgestellt wird. Das wäre wohl auch kaum möglich, es sei denn in einem Propagandafilm, doch sind diese Zeiten gottlob vorbei, und auch Regisseure auch diesen Ländern können endlich frei von der Leber weg alles sagen. Oder? (26.3.)