„La saison des hommes“ (Zeit der Männer, Zeit der Frauen) von Moufida Tlatli. Tunesien/Frankreich, 2000. Rabia Ben Abdallah, Sabah Bouzouita, Ghalia Ben Ali, Hend Sabri, Ezzedine Gennoun

 

 

Über zwei Generationen wird eine Geschichte von Frauen und Männern zwischen Djerba und Tunis erzählt: Eine Mutter, zwei Töchter, ein geistig behinderter Sohn, ein Vater und eine Schwiegermutter. Die Mutter heiratet den Vater, der zum arbeiten in die Hauptstadt geht und nur einmal im Jahr, zur Saison der Männer, zurück auf die Insel kommt. Dann wollen Kinder gemacht werden, und zwar Jungs, denn auch im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert sind Mädchen nur die zweite Wahl. Die Mutter aber gebiert zunächst zwei Mädchen, was ihren Stand bei der strengen Schwiegermutter nicht gerade erleichtert, und so muß sie sich weiterhin einem rigorosen, restriktiven und traditionsgebundenen Regiment beugen. Als dann doch endlich der ersehnte Junge zur Welt kommt, schafft auch die Mutter den Absprung in die Hauptstadt, doch es wird nicht für lange sein, denn die Behinderung des Kindes entfremdet den Vater von der Familie, und schließlich kommen Mutter und Kinder zurück auf die Insel, wo sich die Mutter mit ihren Erinnerungen und die heranwachsenden Töchter nun ihrerseits mit ihrer Geschlechterrolle auseinanderzusetzen haben.

 

Ein ganz hervorragender, langer, meditativer und außerordentlich vielschichtiger und vielsagender Film über ein Thema, das in der arabischen Welt noch immer im Zentrum der sogenannten (und in unseren ach so freien westlichen Kulturen ja längst gelösten) Geschlechterproblematik steht. Es ist aber auch eine Welt, die sich mittlerweile in einem langsamen aber stetigen Umbruchprozeß befindet, denn nicht länger ist jede Frau bereit, den ihr zugewiesenen Platz widerspruchslos einzunehmen und ihrerseits all ihre Wünsche, Hoffnungen, all ihren persönliche Ehrgeiz, all ihre Vorstellungen von Selbstverwirklichung einfach dranzugeben, nur weil sie halt die Frau ist und der Mann der Herr im Haus. Solange es noch Schwiegermütter gibt, die das alte System repräsentieren, stützen und an die folgenden Generationen weiter vermitteln wollen, wird der Kampf für mehr Emanzipation doppelt schwer, weil es ständig Rückschläge und Verrat in den eigenen Reihen gibt, doch irgendwann, so jedenfalls scheint dieser Film hoffen zu wollen, sterben auch diese Saurier aus, und die neue Generation hat die Chance, sich zumindest anders, vielleicht nicht völlig frei, selbstbestimmt und gleichwertig, doch aber doch kritischer und selbstbewußter, zu artikulieren. Die Töchter in diesem Film haben damit noch reichlich Schwierigkeiten, denn beide haben erlebt, was im eigenen Familienkreis geschah, beide haben Rollenerwartungen, Zwänge, Unterdrückung und Schmerz hautnah miterlebt, und beide sind auf ihre Art unfrei, gehemmt, verängstigt. Aber die ältere wird vielleicht in der Lage sein, ihren Körper endlich anzunehmen und ihre sexuellen Neurosen zu überwinden, und die andere wird es schaffen, sich freizustrampeln und das Leben zu führen, das sie führen möchte, an der Seite eines verheirateten Mannes, wenn es geht, und ganz ungebunden, wenn es nicht geht. Einen kleinen aber sehr wichtigen Schritt hat ihnen die Mutter vorgemacht, indem sie ihren Mann verließ und zurück nach Djerba zog, gegen die traditionellen Erwartungen an die Frau, die selbstverständlich an der Seite ihres Mannes zu verbleiben und ihm zu gehorchen hat, und natürlich auch gegen einen nicht unerheblichen Druck aus der eigenen Familie, die ja diese Tradition stets gelebt und unterstützt hat. Die Erzählung schwenkt in ruhigem, flüssigen Rhythmus hin und her zwischen der Gegenwart und jener Zeit, da die Mutter noch jünger und die beiden Töchter noch kleine Schulmädchen waren, und auf diese Weise können Erklärungen, Entwicklungen, Zusammenhänge deutlich werden, entsteht eine Emanzipationsgeschichte, wenn auch eine langsame, konflikt- und hindernisreiche, die immer wieder darauf verweist, wie schwer es die Frauen i n dieser Welt haben, wenn sie mehr wollen als nur gehorchen und gebären. Der Film ist sehr intensiv in den Bildern, in der Schauspielerei, in seiner Konzentration auf eine umgrenzte Familie. Er stellt die Frauen ganz klar in den Mittelpunkt, läßt aber die Männer auch nicht als tyrannische Monstren dastehen, sondern ebenso als Produkte ihrer Sozialisation, mit dem Unterschied, daß sie natürlich kein Interesse an einer Reformierung der Strukturen haben, denn sie haben sehr viel zu verlieren und verfügen häufig auch nicht über die geistige Flexibilität, um das Anliegen und die Situation ihrer Frauen überhaupt begreifen zu können. Selten kommen mal Filme aus Nordafrika zu uns, aber wenn, dann haben sie’s gleich in sich – man denke nur an den ähnlich herausragenden „Honig und Asche“, der sich mit genau dem gleichen Thema befaßt wie dieser Film hier, der uns daran erinnert, daß es auch jenseits von Europa und Nordamerika viel zu erzählen und zu zeigen gibt. Gottseidank. (4.2.)