11‘09‘‘01 (11.September) von Samira Makhmalbaf, Claude Lelouch, Youssef Chahine, Danis Tanovic, Idrissa Ouedrago, Ken Loach, Alejandro Gonzáles Iñarritù, Amos Gitaï, Mira Nair, Sean Penn, Shohei Imamura. Frankreich/England, 2002.

   Elf Regisseure aus elf Ländern (Iran, Frankreich, Ägypten, Bosnien-Herzegowina, Burkina Faso, England, Mexiko, Israel, Indien, USA und Japan) widmen jeweils elf Filmminuten jenem Thema, von dem man jetzt schon glaubt, das es eines der bedeutsamsten und richtungsweisenden des neuen Jahrtausends gewesen sein wird. Elf verschiedene Perspektiven, elf verschiedene Prioritäten und Temperamente, elf kurze Geschichten, die alle auf direkte oder indirekte, polemische, emotionale, sarkastische, groteske oder sonstige Weise den Anschlag von New York verarbeiten, kommentieren und ihre persönliche Sichtweise äußern. Die einen erzählen von ihrer eigenen Kultur im eigenen Land, andere berichten von Exilanten in den USA oder England, die einen bleiben in der Gegenwart, andere springen zurück in die Siebziger oder gar zum Zweiten Weltkrieg. Wir erleben den Alltag im Iran, wo sich afghanische Flüchtlinge voller Angst auf die befürchtete amerikanische Vergeltung einrichten, wir erleben den Alltag in Burkina Faso, wo ein paar Jungs Osama Bin Laden gesehen haben wollen und nun auf das Lösegeld aus sind, wir erleben den Alltag in Israel, wo gerade ebenfalls ein Anschlag stattgefunden hat, wir erleben den Alltag in Bosnien-Herzegowina, wo die Kriegsflüchtlinge über die Schreckensnachricht fast ihr eigenes Leid vergessen, und wir sehen einen chilenischen Exilanten in London, der sich an seine eigene Geschichte erinnert, an 1973, als ein von den Amerikanern bezahlter, unterstützter und gewollter Militärputsch das Land in eine grausame Zeit des Terrors, der Folter und der Massenmorde riß.

   Diese Beiträge sind für meinen Geschmack die stärksten, überzeugendsten hier, sie tun, was dringend nötig ist im Zusammenhang mit diesem fast schon mythischen Datum, sie öffnen nämlich wieder den Horizont und zeigen, daß es neben New York noch andere Schauplätze des Leids und des Terrors gibt, daß es sehr viele Länder auf der Erde gibt, die ihre eigenen Opfer zu beklagen haben und denen es unverständlich sein muß, daß sich die Amerikaner nun vor aller Welkt als die großen Märtyrer im heiligen Krieg gegen den Islam hinstellen. Mord und Totschlag auf dem Balkan, in Israel, Armut, Hunger und Verfolgung in den Flüchtlingslagern auf der ganzen Welt, ungezähltes Leid in Form individueller Schicksale, und bei allem Respekt und allem Mitgefühl für die Opfer des 11.9. muß klar gesagt werden, und wird in diesen Filmen hier auch klar gesagt, daß es erstens viele andere Opfer gibt, die genau das gleiche Mitgefühl und die gleiche Öffentlichkeit verdienen, und daß man zweitens nun in der allgemeinen Empathiewelle nicht soweit gehen sollte, die Rolle der Amerikaner in zahlreichen menschenrechtswidrigen Aktionen, Putschs und Staatsstreichen zu vergessen, denn was sich vor allem in Latein- und Südamerika abgespielt hat, macht die Opferpose der Amerikaner mehr als fragwürdig. Ken Loachs Beitrag, wie auch die aus Israel, Iran oder Bosnien, sind bewundernswert mutig und stark, unbequem, provokant, allesamt sehr wichtige Gegenstimmen inmitten all der undifferenzierten und idiotischen Polemik, die man seitdem überall lesen oder hören mußte.

   Andere Filme bilden zueinander einen reizvollen, spannenden Kontrast und zeigen, auf wie viele ganz unterschiedliche Arten man mit dem 11.9. umgehen kann: Iñaritù hat eine wuchtige, stark gefühlsbetonte, fast religiös überhöhte Collage gemacht, die die Ereignisse rein sinnlich angeht und in der Frage nach der Existenz und den Wegen Gottes mündet. Ouedrago auf der anderen Seite dreht eine verschmitzte, hinreißend witzige und ganz einfache Dorfgeschichte aus Afrika, die den ganzen Wust gekonnt auf den Erdboden herunterholt und ihn zum Spielball für ein paar fixe afrikanische Jungs macht. Lelouch macht es wieder anders, sehr ernst und still und ganz privat – der 11.9. als der Tag, an dem sich die Zukunft eines Liebespaares entscheiden soll.

 

   Wieder andere Filme fand ich etwas merkwürdig oder nicht recht überzeugend: Mira Nair behandelt zwar ein sehr wichtiges Thema – die Welle von Vorurteilen und Ressentiments, die Moslems nach den Anschlägen in Amerika zu erdulden eines hatten, doch fehlt ihrem Beitrag die Überzeugungskraft ihrer besten Filme. Sean Penn hat eine kleine Groteske mit Ernest Borgnine gedreht – erst als die Twin Towers herabstürzen, gibt es wieder Licht im Leben eines einsamen alten Mannes, der Jahrzehntelang buchstäblich in ihrem Schatten lebte -, doch irgendwie konnte ich rein emotional damit gar nichts anfangen. Und Imamuras Film ist zwar auf seine typisch japanische drastische Weise packend und stark, nur finde ich darin wenig direkten Bezug zum Thema. Es geht zwar um Sinn und Wahnsinn des Krieges, besonders des sogenannten „Heiligen Krieges“, und darin liegt sicherlich eine deutliche Warnung an die beiden Kriegsparteien, doch finde ich die Umsetzung in diesem Rahmen nicht recht einleuchtend. Aber nun, es sind dies betont subjektive, ganz persönliche Beiträge, und so muß man sie auch sehen, mit der unvermeidlichen Begleiterscheinung, daß einem die einen näher sind als die anderen. Spannend und einsichtsvoll ist diese Sammlung in jedem Fall, und auch ein schöner Beweis für die große Spannbreite filmische Ausdrucksformen rund um den Globus. (26.1.)