25th hour (25 Stunden) von Spike Lee. USA, 2002. Edward Norton, Rosario Dawson, Philip Seymour Hoffman, Brian Cox, Barry Pepper, Anna Paquin
Zwei Seelen wohnen – ach – in Mister Lees schmaler Brust, und je nachdem welche sich gerade durchsetzt, bekommen wir von ihn funky, sexy, kraftvoll provokative Sozialdramen aus Harlem oder aber langatmiges, weitschweifiges und vor allem sehr sehr pathetisches Zeug über Baseball, Jazz oder allerlei anderes. Bis etwa 1990 hat er fast nur ausgezeichnete Filme gemacht, danach verlor er irgendwie den Faden, tauchte zeitweilig ganz aus unseren Kinos ab, und lieferte eigentlich nur noch einmal, 1998 mit „Summer of Sam“ einen wirklich brillanten Film ab. Das ist auch schon wieder Ewigkeiten her, und zu meinem großen Bedauern ist es ihm auch mit seinem neuesten Projekt nicht mehr geglückt, an alte Zeiten anzuknüpfen.
Schon der Vorspann bereitet uns unangenehm auf das Kommende vor: Die Skyline der Stadt New York nach dem 11.9.01 wird abgefahren, minutenlang, immer wieder, und statt der zerstörten Twin Towers sehen wir zwei blaue Lichtsäulen in den Abendhimmel steigen, auch dies minutenlang, von weihevoll schwelender Musik untermalt, so lange, bis auch der letzte Dummkopf die Botschaft verstanden hat: New York is still alive, folks! Lokalpatriotismus auf die typisch amerikanische Art also – aufdringlich, großspurig, kitschig. Ärgerlich. Dann geht es zweieinviertel Stunden lang um die letzten fünfundzwanzig freien Stunden eines kleinen Heroindealers, der zu sieben Jahren Knast verknackt worden ist und nun noch einen Tag und eine Nacht Zeit hat, mit sich und der Umwelt ins Reine zu kommen, ein paar offene Rechnungen zu schließen und ein guter Mensch zu werden. Dabei helfen ihm ein Hund, den er vor dem Tode rettete, zwei treue Freunde, mit denen er um die Häuser zieht, und seine süße Freundin, die als Puertoricanerin buchstäblich ein wenig Farbe in die ansonsten durchgängig weißhäutige Klientel bringt (und das in einem Spike-Lee-Joint). Unser Freund Monty also, irischer Herkunft auch noch, ist eigentlich ein ganz guter Kerl. Gar nicht zu verstehen eigentlich, wie der mit dem tödlichen Gift handeln konnte. Wahrscheinlich war er von Anfang an nur das Opfer der üblen Russenmafia, die Spike Lee trefflich als Sündenbock einsetzt – ein Regisseur, der sich wie kaum ein anderer mit Sensibilität und heißem Engagement um Rassenfragen gekümmert hat, entblödet sich nun nicht, dumme und platte Klischees auszubreiten und uns eine Palette finsterer Gangster aus irgendeiner drittklassigen Schießbude vorzusetzen. Auch sehr ärgerlich. Und sonst geschieht eigentlich sehr wenig. Man hängt in Diskos ab, lernt ein paar typische New Yorker Nachtschwärmer kennen, eilt rastlos von einer Location zur nächsten und hat immer noch irgendwas zu tun. Es gibt keine besondere Story, keinerlei Dramaturgie, nur jede Menge Leerlauf zwischendurch, und eigentlich konnte ich mir die ganze Zeit über nicht recht vorstellen, worauf Lee letztlich hinaus will. Zuletzt schildert er lang und breit Montys Traum von der friedlichen Großfamilie weit draußen im weiten Westen, und er deutet an, daß Monty noch immer die Chance hat, sein Leben radikal umzudrehen, indem er seinen Vater einfach geradeaus fahren und New York verlassen läßt. Wie er sich entscheidet, bleibt ein wenig offen, aber ich muß auch gestehen, daß mir das längst ganz egal war, denn bei aller gebotenen Toleranz und bei allem großen Respekt für einen so guten Schauspieler wie Edward Norton, war es mir trotzdem unmöglich, mich auch nur eine Sekunde lang für diesen Typen zu interessieren, geschweige denn mich für ihn zu erwärmen. Vielleicht bin ich da verbohrt oder altmodisch, aber Drogendealer gehen mir am Arsch vorbei, ich habe mit ihnen nichts zu schaffen und will über ihr weiteres Schicksal nichts erfahren, zumal Monty selbst auch nicht mal besonders viel Reue über seine Taten offenbart oder etwa eine Art von Bewußtsein davon, was er vielleicht mit seiner Ware alles angerichtet haben mag. Er hat Angst vor dem Knast, er hat Angst, seine Freundin zu verlieren, und er möchte rauskriegen, wer ihn an die Polizei verraten hat, das war’s. Ob sich nun hinter diesem banalen Minidrama ein Porträt der Stadt New York nach dem Supergau verbirgt, ist mir persönlich schnuppe, wenn Spike Lee daraus keinen irgendwie aufregenden, bewegenden Film machen kann. Und das ist ihm eindeutig nicht gelungen. Der Film ist viel zu lang, schleppt sich über endlose Szenen eintönig dahin, nervt durch seine dick aufgeklebte Kitschmusik und sein sonstiges Pathos, seine Schwerfälligkeit und seinen völligen Mangel an Pep, Witz, Ironie und Temperament, all das also, was Lees beste Filme kennzeichnet. Zum Abspann darf zu allem Überfluß auch noch Bruce Springsteen seinen Beitrag leisten und ein angemessen feierliches Liedchen vortragen, das den Ton des ganzen Films vermutlich trifft, aber wie auch der ganze Film nichts mehr mit dem Spike Lee zu tun hat, den ich einst als einen der besten und eigenwilligsten US-Regisseure schätzte. Für mich eine ziemliche Enttäuschung. (20.5.)