About Schmidt (#) von Alexander Payne. USA, 2002. Jack Nicholson, Hope Davis, Dermot Mulroney, Kathy Bates

   Für Warren Schmidt aus Omaha/Nebraska bricht binnen kürzester Zeit seine gesamte, in Jahrzehnten sorgsam errichtete Mittelstandexistenz wie ein Kartenhaus zusammen: Zunächst geht er in Pension, muß den Arbeitsplatz, auf den er stolz war und an dem er Lob und Anerkennung erfuhr, für einen naßforschen Yuppie räumen, der ihm alsbald unmißverständlich klarmacht, daß sein, Schmidts, Rat von nun an nicht mehr gebraucht werde. Hernach fällt seine Gattin beim Staubsaugen tot um, und obwohl die Gute ihm 42 Jahre lang zum Teil gehörig auf die Nerven gegangen ist, stellt er plötzlich, als sie nicht mehr da ist, fest, wie sehr sie ihm fehlt und wieviel sie eigentlich doch getan hat, denn innerhalb einiger Tage verwandelt sich der geschniegelte Haushalt in eine müllübersäte Wüste. Beim Aufräumen findet er dann auch noch versteckte Briefe, aus denen hervorgeht, daß seine Gattin ganz offenbar früher mal ein Verhältnis hatte und zwar ausgerechnet mit seinem besten Freund. Zu allem Überfluß wird schließlich seine einzige Tochter einen Typen heiraten, mit dem Papa unmöglich einverstanden sein kann. Dies ändert sich auch nicht, als er die gesamte Familie in Denver kennenlernt, und dies ändert sich auch nicht auf der peinlichen Hochzeitsfeier, die Paps irgendwie übersteht, bevor er mit seinem Winnebago wieder nach Haus fährt. Dort erwartet ihn dann er einzige Lichtblick in dieser trüben Zeit: Ein kleine Junge aus Tansania, für den er die Patenschaft übernommen hatte, hat ihm ein Bild gemalt. Ein großer Mensch hält einen kleinen Menschen an der Hand. Beim Betrachten dieses Bildes muß Warren Schmidt in Tränen ausbrechen.

  Ein wunderbar bewegender, wirklich tief anrührender Schluß eines Films, der sich auch sonst sehr weit vom derzeit besonders penetrant herrschenden US-Mainstreamkino entfernt. Eine Literaturverfilmung, der außergewöhnlich viel Wert legt auf Stimmungen, auf Details, auch psychologischer Art und auf Milieuschilderungen, denn wie hier der ödem, kleinstädtische Mittelwesten mitsamt seinen Einwohnern porträtiert wird, ist schon eindrucksvoll. In langen, oft sehr stillen und melancholischen Szenen folgen wir Schmidt, zunächst auf dem Weg durch die Stadt auf der Suche nach Anschluß an sein altes Leben, später dann im riesengroßen Van durchs Land nach Colorado, vorbei an Schauplätzen seiner Erinnerung und vorbei an Begegnungen mit anderen Amerikanern. Ein in jeder Hinsicht kleinbürgerliches Amerika, doch fängt der Film sich immer wieder dann ab, wenn es allzu skurril und bissig zu werden beginnt, er hält eine gute Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Ironie. Einzig bei der Familie des Bräutigams scheint er einige Male in Richtung der Karikatur zu entgleisen, und nur die reine Würde einer Schauspielerin wie Kathy Bates verhindert Gröberes. Ansonsten liegt die Kunst ja immer darin, in der feinen Verzerrung ein umso klareres Abbild der Realität zu finden, und so sehen wir hier Leute, die bei aller oberflächlicher Herzlichkeit (die besonders wird immer wieder als hohles Fassade enttarnt) doch nur an sich denken und kaum noch richtig miteinander kommunizieren können. Schmidt selbst ist ein hervorstechendes Beispiel dafür, zugleich aber ein sehr komplexer und auch im verlauf des langen Films nicht leicht zu entschlüsselnder Charakter. Er gibt sich einsilbig, depressiv, mürrisch, eigenbrötlerisch, ein Mann, dem offenbar jede Nähe zuwider ist, und aus dem nur gelegentlich die Emotionen herausbrechen. Der einzige ernsthafte Annäherungsversuch, den er unternimmt, nämlich bei seiner Tochter, wird von ihr brüsk zurückgewiesen, vermutlich auch deswegen, weil er sich jahrelang nicht um ihr Leben gekümmert hatte. Schrittwiese erlebt Schmidt seine eigene Einsamkeit, die immer vollständiger wird und einige demütigende Situationen mit sich bringt, was im Film mit sehr viel Feingefühl und bitterem Realismus gezeigt wird. Er ist beileibe nicht nur Opfer, er ist Teil des Systems, das die Leute einsam macht, nur ist er plötzlich auf der Seiet derjenigen, die niemanden mehr haben, hinter dem sie sich verstecken können. Außerdem erleben wird natürlich auch, was es heißt, in einem Land, das auf Erfolg, Produktivität, Leistung gepolt ist, eben all dies nicht mehr bringen zu können. Schmidt ist Pensionär, sechsundsechzig Jahre alt und damit fortan nicht mehr zu gebrauchen. Als Person zählt er nichts mehr, seien Erinnerungen wurden weggewischt von Fortschritt und Veränderungen, für die jüngeren ist er ein alter Spinner, für seine Tochter eben nur Dad, der wieder mal nervt. Bei aller Einfalt, Sturheit und Verwirrtheit, die ihn manchmal auszeichnen mögen, behält Schmidt dennoch jederzeit seine Würde, was ein besonderes Verdienst des Films und natürlich auch Jack Nicholsons ist. Zuerst hatte ich schon die (durchaus auch berechtigte) Befürchtung, daß Nicholson diese großartige Rolle für eine Soloshow mit allem Drum und Dran nutzen würde, was sicherlich den Ruin des Films bedeutet hätte. Aber er tut es nicht, er bleibt in seiner Rolle, brilliert mit perfekt einstudierter Körpersprache und sonst hat er ja immer noch sein Gesicht, was eh schon Attraktion genug ist. Er ist sogar genau richtig für diese Rolle, die unbedingt nach einem starken, präsenten Darsteller verlangt, und wer außer Nicholson könnte stärker und präsenter sein. Er zieht unsere Aufmerksamkeit zwei Stunden ohne Mühe auf sich, er bewegt uns, diesem Mr. Schmidt zuzusehen und auch mit ihm zu fühlen, ihn vielleicht auch ein Stück weit zu mögen, vor allem eben am Ende, wenn ihn dieses schlichte aber deshalb so ergreifende Freundschaftsbild eines kleinen Jungen aus Afrika zum Weinen bringt. In diesem Bild von Freundschaft und Vertrauen sieht er all das, was er selbst nicht mehr hat, was ihm verlorenen gegangen ist, was er selbst auch hat verlorengehen lassen. Ein Bild von Hoffnung von einem Kind, das dank seiner 22 Dollar pro Monat überleben könnte, dem es aber niemals auch nur annähernd so gut gehen wird wie seinem Paten in den USA.

 

   Ein auf ganzer Linie sehr sorgfältig inszenierter und gespielter Film, sehr konzentriert und dicht, der niemals laut zu werden braucht, und der aus all diesen Gründen eine der wenigen angenehmen Ausnahmeerscheinungen im tristen US-Gegenwartskino darstellt, jedenfalls soweit wir in Teutschland dies beurteilen können. (9.7.)