The quiet American (Der stille Amerikaner) von Philip Noyce. USA, 2002. Michael Caine, Brendan Fraser, Do Thi Hai Yen

   Graham Greenes bissiger Roman wurde vor fünfundvierzig Jahren schon einmal verfilmt, und ein Vergleich der beiden Versionen ist schon ganz interessant. Natürlich wissen Philip Noyce und sein Autor Christopher Hampton heute, was Greene anno ’55 und Joseph Mankiewicz anno ’58 noch gar nicht wissen, bestenfalls erahnen konnten, aber wenn man den Lauf der Geschichte betrachtet, muß man Mr. Greene eine gehörige Portion Weitsicht bescheinigen, denn vieles hat er doch ziemlich akkurat prognostiziert – oder vielleicht lagen die Dinge damals schon Mitte der 50er klar auf der Hand. Der aktuelle Film ist aus der Sicht derjenigen gedreht, die den Verlauf des „Engagements“ der USA in Vietnam kennen, weshalb es für diese Leute natürlich viel leichter ist, die richtigen Aspekte zu betonen, die richtigen Sätze ins Drehbuch zu schreiben, dorthin zu hauen, wo es ordentlich weh tut. Und obgleich auch dieser neue Greene-Film äußerlich ganz gediegen und betulich daherkommt, hat er es wahrhaftig in sich.

   Saigon in den Fünfzigern: Die französische Kolonialmacht schwächelt, die Amerikaner sind heftig in Sorge, daß der Kommunismus aus dem Norden den „freien“ Süden überfluten könnte, und in Straßencafés, Puffs, Opiumkneipen und ventilatorgekühlten Hotelzimmern gehen die träge schwitzenden Europäer ihrem täglichen Vergnügen nach. So auch Thomas Fowler, ein englischer Journalist, der sich vor Ort gleich eine liebreizende Geliebte zugelegt hat und das politische Geschehen aus einer whisky- und opiumgeschwängerten Distanz betrachtet. Sein Motto lautet, keinen eigenen Standpunkt zu vertreten, die Dinge sachlich und unparteiisch zu berichten. Damit fährt er so lange gut, bis plötzlich etwas geschieht, daß auch ihm nahegeht. Ein junger, pausbäckiger Amerikaner tritt auf, wirft einen begehrlichen Blick auf die schöne Phoung, worauf sich Fowler zunächst noch mit neugierigem Amusement einläßt, zieht ihn aber andererseits auch tiefer in die politischen Geschäfte hinein, als ihm zunächst lieb ist. Fowler kann sich plötzlich nicht mehr aus allem raushalten: Er hat doch irgendwann Angst um die Geliebte, rangelt mit der kratzbürstigen Ehefrau daheim und versucht, hinter die Maske des Amerikaners Pyle zu schauen. Dabei stellt er fest, daß Pyle nicht so unbedarft ist wie er tut, und daß er auch weniger mit Entwicklungshilfe zu tun hat, als vielmehr mit dem CIA und dem offiziellen politischen Ziel der USA, in Südvietnam willfährige Machthaber zu installieren als Bollwerk gegen die bedrohlich anrückenden roten Truppen Ho Chi Mins. Eine harte, linientreue Diktatur muß her, und man hat sich auch schon einen vielversprechenden General ausgeguckt, nur muß man ihn nun noch in den Sattel hieven. Parallel dazu wird die Stadt von furchtbaren Bombenanschlägen erschüttert, die Fowler endgültig einsehen lassen, daß nun sein Engagement, seine Meinung, seine Artikel gefragt sind, und wir erfahren im Nachspann, daß er in Vietnam bleiben und vom heraufziehen des Krieges berichten wird. Pyle bezahlt sein übles Spiel zwar mit dem Leben, aber wie wir ja auch wissen, sind nach ihm noch viel mehr stille Amerikaner gekommen und haben sein Werk vollendet.

   Wer den Film nur als schön klassischen Abenteuerfilm (Dreiecksgeschichte vor exotischer Kulisse oder so) sehen will, tut ihm starkes Unrecht. Noyce interessiert sich sehr wenig für Spannungsmomente und äußere Action, er konzentriert sich fast völlig auf Fowler, seine Lebensweise in Saigon, seine Einstellung zur Politik, sein Verhältnis zu Pyle und dann die Wandlung, die er durch seine Erfahrungen vollziehen muß. Einst hatte Michael Redgrave als Fowler eine schöne Rolle bei Mankiewicz, nun ist Michael Caine dran, und er füllt diese Rolle mit großartiger Bravour aus. In jedem neuen Film kann man nun Caines Schauspielkunst genießen, und gerade weil er nie aufdringlich wird, sondern lieber kleine Nuancen herausarbeitet, sieht man ihn sich auch nicht leid. Er trägt den Film allein, und er allein ist schon ein guter Grund, den Film zu sehen. Brendan Fraser als Pyle erzeugt ähnlich zwiespältige Gefühle wie dereinst Audie Murphy: Zwei Bubis ohne Ausstrahlung, kein ebenbürtiger Partner für ihre arrivierten britischen Kollegen, aber andererseits auch wieder eine ganz passende Verkörperung des archetypischen Amerikaners, sonnig, jungenhaft, vital, scheinbar ein wenig naiv. Gerade Murphys Besetzung war damals eigentlich genial, denn der verkörperte ja sonst immer den stramm patriotischen Amihelden, und unterlief nun sein eigenes Image voll und ganz. Bei Fraser funktionieren solche Konnotationen natürlich nicht mehr, und ich finde ihn als Schauspieler höchst unattraktiv, aber er macht seinen Job im Grunde ganz effektiv. Noyce setzt seine Akzente sehr präzise und ohne überflüssige Längen. Er zeichnet neben den individuellen Porträts auch das Porträt einer Stadt auf der Kippe – eine Kolonialmacht ist im Begriff, von der nächsten abgelöst zu werden, das heißt, daß die Vietnamesen ihre hart erkauften militärischen Siege über die Franzosen nicht ummünzen konnten in die ersehnte Unabhängigkeit. Zielstrebig schleuste der CIA die Agenten ein, zielstrebig wurden die richtigen Leute nach vorn gebracht, zielstrebig wurde das militärische Engagement aufgebaut. Die vietnamesische Bevölkerung war für weitere zwanzig Jahre einem furchtbaren Terror von zwei Seiten ausgesetzt, flüchtete sich in jegliche Art von Prostitution, oder versuchte sonstwie, zu überleben, während die etablierten Herrschaften aus Frankreich oder England verstimmt zur Kenntnis nehmen mußten, daß die Zeiten unbeschwerten kolonialen Lebensstils wohl ein für allemal gezählt waren.

 

   Es ist also viel drin in diesem Film, obwohl er gar nicht so schwer und befrachtet ausschaut. Auch eine Kunst, zudem eine, die Greene ebenfalls beherrschte. Keine lauten Parolen, kein oberflächliches Getue, eher sachliche, tiefgründige Schilderungen und Psychogramme, und insofern, weil Noyce dies eben beherzigt und umsetzt, ist dies eine überaus angemessene und sehr gute Literaturverfilmung. (22.5.)