La fleur du mal (Die Blume des Bösen) von Claude Chabrol. Frankreich, 2002. Benoît Magimel, Mélanie Doutey, Nathalie Baye, Suzanne Flon, Bernard Le Coq, Thomas Chabrol
Im lauschigen Aquitanien trägt es sich diesmal zu, daß zwei Familien seit Generationen schicksalhaft und durchaus gewaltsam miteinander verknüpft sind und nicht voneinander lassen können. Man lebt in wohlhabendem Stil, vergrößert seine Apotheke, engagiert sich in der Lokalpolitik oder repräsentiert einfach nur großbürgerliche Lebenskunst à la Bordeaux. Der Jüngste ist just zurück aus Amerika, und die ersten Blicke, die er und seine schöne Stiefschwester nach vier Jahren austauschen, verraten einiges von dem, was da kommen wird – jedenfalls schickt sich auch die jüngste Ausgabe der zwei Familien an, die halbwegs inzestuöse Verbandelung der Charpins und Vasseurs fortzusetzen.
Und da der Regisseur dieses Films Claude Chabrol heißt, ahnt man früh, daß sich unter der wohlanständigen, eloquenten Fassade allerhand Giftiges, Gehässiges und Schlimmeres verbirgt. Zunächst bietet schon die Historie der beiden Familien, die durchsetzt ist von Ehebrüchen und reichlich Todesfällen, Anlaß zu genaueren Forschungen. Allerdings ist auch die Gegenwart nicht ohne – Papa steigt jedem Rock nach und übergießt die Ambitionen seiner Frau mit eifersüchtigem Hohn. Frauchen ihrerseits gibt sich umtriebig, ehrgeizig, unverbindlich und verkrampft optimistisch, mithin die ideale Repräsentantin des Volkes. Die alte Tante, die ebenfalls im Hause wohnt, hängt melancholisch ihren zahlreichen und keineswegs nur schönen Erinnerungen nach und leidet noch immer unter einem dunklen Verdacht, den sie niemals abschütteln konnte. Und nun tauchen auch noch höchst unflätige Flugpamphlete auf, in denen anonym das Leben der Familien Charpin und Vasseur in den tiefsten Schmutz gezogen wird, ganz offensichtlich mit dem Ziel, die angehende Bürgermeisterin an ihrem Vorhaben zu hindern. Die beiden verliebt turtelnden Jüngsten gehen bald einen finsteren Verdacht, und als dieser sich bestätigt, kommt es zur Katastrophe.
Da der Regisseur, wie gesagt, Claude Chabrol heißt, inszeniert sich dieser Film auch praktisch von selbst. Die Souveränität des alten Herrn, wenn es um seinen Lieblingsfeind, die sprichwörtliche Bourgeoisie geht, ist derart enorm, daß er nicht die leiseste Anstrengung unternehmen, daß er lediglich die Flamme köcheln und das Geschehen in aller Ruhe abrollen lassen muß, um einen ebenso amüsanten, wie delikaten, erotischen, bissigen und vieldeutigen Film aus dem Hut zu zaubern, der locker mit seinen besten mithalten kann, durch seien wunderbaren Bilder ebenso bezaubert wie durch die wunderbaren Schauspieler und seine einmal mehr mit entspanntem Genuß zelebrierte Kunst, solche kleinen, boshaften Geschichten sozusagen im Schlaf zu erzählen. Dabei wirkt der Film niemals unkonzentriert, zu gutmütig und routiniert, wie schon einige seiner späteren Werke, aber auch niemals hektisch, aufgeregt, überzogen. Die Charaktere sind sehr überzeugend und realistisch, ihre Beziehung wird in ausführlichen und hervorragend pointiert dargestellten Szenen entwickelt, und da man seinen Chabrol mittlerweile nach fünfzig Filmen oder so kennt, freut man sich umso mehr auf die üblichen Manöver, Lügen und Tricks der Großbürger, auf ihre Art, Unangenehmes unter den Teppich zu kehren (sogar eine Leiche, wie am Schluß), ihr soziales Prestige gezielt zu benutzen, um Tatsachen, sogar Verbrechen, zu verschleiern, und ihre Kinder immer wieder dahin drillen zu wollen, die familiären Traditionen fortzuleben. In diesem Fall präsentiert sich die Bourgeoisie mal wieder als hermetisches System, das keinen äußeren Anfechtungen ausgesetzt ist, das sich aber bereits innerlich so marode, morsch und vergiftet zeigt, daß es auch so nicht mehr auf Dauer Bestand haben könnte. Chabrol registriert solche Umstände mit der von ihm gewohnten Distanz, er betrachtet die Leute hier nicht gerade aus der Nähe, aber auch nicht durchgehend kühl und abschätzig wie früher einmal, sondern er zeigt hier und da schon Sympathien. Es geht um das ganze System, und darum, daß man auch diesem System zunächst ausbrechen müßte, um frei leben zu können. Ein jeder tut dies auf seine Art – die alte Tante nimmt am Schluß einen Totschlag auf sich, den sie nicht begangen hat, um sich endlich von den Fesseln ihrer Vergangenheit zu lösen. Radikaler geht es kaum, und es wird im Film so still und leise realisiert wie nur möglich. Ein kleines Meisterwerk von einem großen Meister, aber eben einem, der dies nicht gern an die große Glocke hängt. (31.7.)