Veronica Guerin (Die Journalistin) von Joel Schumacher. USA/Irland, 2003. Cate Blanchett, Ciaran Hinds, Gerard McSorley, Brenda Fricker, Simon O’Driscoll, Alan Devine, Barry Barnes, Joe Hanley

   Schon mal vorweg ein wirklich interessanter Film: Was mag einen wie Jerry „Pearl Harbor“ Bruckheimer dazu bewogen haben, ihn zu produzieren, und einen wie Joel „8 mm“ Schumacher, ihn zu inszenieren? Haben die beiden Herren irische Wurzeln irgendwo, lag ihnen das Thema gar am Herzen, suchten sie nach einem Abschreibungsprojekt, oder was? Das große Geld kann es wohl kaum gewesen sein, denn das läßt sich mit solchem Stoff nicht verdienen.

   Sehr erfreulich war es auch für mich, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen (liegt aber auch daran, daß ich jahrelang überhaupt keinen Kontakt zu Irland hatte und in unseren Medien dieses Land nicht mehr präsent ist): Irland – ich spreche von der Republik - ist endlich, nach jahrhundertelangem Tiefschlaf irgendwo im Mittelalter, im Hier und Jetzt angekommen. Vorbei sind die Zeiten, da sich fellbehangene, Guinness saufende und kartoffelfressende Bauersleut’ gegenseitig mit Torf totschlugen und diese Kolonie höchstens ein Pickel am Arsch des noblen, mächtigen Nachbarn zur Rechten war. Irland ist nun ein richtig modernes Land mit ganz moderner Kriminalität. Dublin in den Neunzigern, so lernen wir, wird beherrscht von den Drogenkartellen, die die verarmte, verzweifelte, arbeitslose Jugend in den Slums mit Stoff vollpumpt, sich gegenseitig brutale Kriege liefert und die Politiker hilflos herumstammeln läßt. Eines schönen Tages aber nimmt sich die eifrige, unermüdliche Journalistin Veronica vom Sunday Independent des Themas an und rührt solange und unerbittlich im Schlamm, bis die Öffentlichkeit endlich entschlossen gegen das Verbrechen zu Felde zieht, die Politiker sich endlich trauen, strengere Gesetze zu erlassen, und die Gangster in die Enge getrieben und verhaftet oder ins Exil geschickt werden. Wie man sich sehr leicht denken kann, muß jemand wie Veronica einen hohen Preis für ihren Mut zahlen: Ihre Familie wird massiv bedroht, sie wird angeschossen, zusammengeschlagen und schließlich 1996 in ihrem Wagen von zwei Motorradkillern getötet. Dies ist eine wahre Geschichte.

   Eine Märtyrerin ihrer Sache also, und der Film denkt nicht daran, diese Sichtweise irgendwie zu relativieren. Darin liegt eindeutig seine größte Schwäche – diese Veronica erscheint so eindimensional und schablonenhaft, daß es wenigstens mir schwer gefallen ist, trotz der eigentlichen Dramatik ihrer Geschichte sehr viel Anteil zu nehmen. Immer adrett und agil, auch als Mutter aktiv, dynamisch, engagiert, den finstersten Burschen furchtlos entgegentretend, fehlt ihr irgendwo das Menschliche. Und Cate Blanchett tut mit ihrer recht schwachen, weil hyperaktiven und stets zu dick aufgetragenen Darstellung leider auch nichts, um der flachen Charakterisierung durch das Drehbuch etwas Substanz zu geben. Dafür haben einige Nebenfiguren die Gelegenheit sich zu profilieren, vor allem Hinds und McSorley als Gangster sind ganz ausgezeichnet und verleihen der ganzen Sache wenigstens teilweise dringend nötigen Pep. Ansonsten scheint Veronica nur von applaudierenden Pappkameraden umstellt zu sein, gerade auch ihr Ehemann, der ja die Gefahr für sich und den gemeinsamen Sohn hautnahe erlebt, schaut scheinbar tatenlos zu, wie die Gattin ihre gefährlichen Recherchen fortsetzt, wohl wissend, daß sie sehr gut fatal enden könnten. Hier gibt es keine Krisen, keine Kämpfe, gar nichts, und hier fehlt dem Film ganz entschieden eine reine menschliche Glaubwürdigkeit. Natürlich ist er an anderer Stelle recht spannend, weil er die halt immer gleiche und immer wieder spannende Geschichte erzählt – Reporter verbeißt sich in ein heikles Thema und legt sich mit den Mächtigen an. Und wenigstens zum Teil fungiert er für mich wie schon gesagt als ein update für irische Studien, denn daß Dublin tatsächlich so stark von Drogenbanden beherrscht war, wußte ich absolut nicht. Und er bietet eine sehr interessante Fußnote zu einem anderen Thema, nämlich dem Thema Martin Cahill. Bei Boorman in dem großartigen „Der General“ erscheint uns der Mann ja als ein pfiffiger, genial gewitzter Robin Hood, aber keineswegs als Bösewicht. Hier nun sehen wir einen fiesen, verkommenen, sadistischen Kriminellen, der auch nicht, wie bei Boorman kolportiert, von der bösen IRA, sondern von rivalisierenden Gangstern exekutiert wurde. Sollte also „Der General“ nur ein weiteres Kapitel im endlosen Kanon irischer Mythenbildung sein?

 

   Sei’s drum, Schumacher hat jedenfalls nicht mehr als einen leidlich spannenden Unterhaltungsfilm gedreht, der sein Thema leider nicht ausschöpfen kann, weil er zu oberflächlich und klischeehaft bleibt. Dennoch kann auch ich mir eine kleine Gänsehaut nicht versagen, wenn am Schluß Sinéad O’Connor einen ihrer schönsten Klagegesänge anstimmt. Durchaus zu schade für ein solches eher uninspiriertes Routineprodukt. (3.11.)