Fremder Freund von Elmar Fischer. BRD, 2003. Antonio Wanneck, David Akhavan, Mina Tander, Mavie Hörbiger
Zum 11.9.01 habe ich nun schon so einiges gesehen, eben auch den prominenten und gedankenreichen Episodenfilm aus dem vergangenen Jahr, muß aber hier und jetzt feststellen, daß mich noch kein Beitrag zu diesen kollektiven Trauma so überzeugt und gefesselt hat wie dieser sogenannte „kleine“ Film, wie so oft gefeatured vom Kleinen Fernsehspiel des ZDF, die an sich ganz simple Geschichte einer Berliner Wohngemeinschaft, bestehend aus einem deutschen Studenten und seinem jemenitischen Mitbewohner, der im Laufe eines Jahres merkwürdige und sehr beunruhigende Wandlungen durchläuft, um kurz vor dem 11.9. einfach zu verschwinden und nie wieder aufzutauchen. Und obgleich Chris eigentlich von Yunes’ Friedlichkeit und Menschlichkeit zutiefst überzeugt ist, kann er sich auf Dauer (nicht nur wegen der Zweifel seiner Freundin) gegen den furchtbaren Verdacht nicht mehr wehren, sein bester, vertrautester, liebster Freund könnte irgendwie mit dem Terror in Verbindung stehen.
Von dem Film geht eine enorme Intensität aus, gepaart mit einem Realismus, der durch die einfache, doch glaubwürdige Milieuzeichnung und vor allem die brillanten Akteure verstärkt wird. Dabei wird keineswegs chronologisch schlicht erzählt, sondern sehr geschickt geschachtelt, daß sich manche Erklärungen erst wie Puzzleteilchen später einfügen lassen und sich erst zuletzt ein halbwegs komplettes Bild der Handlung ergibt. Im Mittelpunkt steht dabei deutlich menschliche Dimension: Chris und Yunes finden zu einer echten Männerfreundschaft zusammen, wie man sie sich erträumt, ein wenig eifersüchtig natürlich verfolgt von Chris’ Freundin Julia, und als Yunes die hübsche Nora kennenlernt, bahnt sich zunächst eine ganz private Vierecksgeschichte an. Die erste Irritation jedoch – Yunes ertappt Nora beim Knutschen mit einem anderen – bringt die Balance dramatisch aus dem Gleis. Yunes verhärtet sich, verschließt sich, läßt Noras, als sie sich entschuldigen will, sehr schroff abblitzen, und wendet sich schrittweise dem Islam zu. Wir erleben zusammen mit Chris und Julia eine krasse, letztlich erschreckende Wandlung, als uns Yunes plötzlich mit Vollbart und Gebetsteppich begegnet, Frauen verachtet, eine Liste mit zu verachtenden Lebensmitteln in die Küche hängt, und auch Chris gegenüber deutlich auf Distanz geht. Chris kann ihn jedoch aufrütteln und zumindest scheinbar wieder in die alten Bahnen lenken. Später aber spüren wir, daß Yunes sich nicht mehr zur westlichen Lebensweise bekennen mag, daß er sich entfremdet hat, und wahrscheinlich im Verborgenen ein Leben führt, zu dem Chris und Julia keinen Zugang haben. Yunes ist hier die zentrale Figur, die auf faszinierende und sehr einprägsame Weise den tiefen Konflikt zwischen den Kulturen personifiziert, und demonstriert, wie beginnender religiöser Fanatismus die Menschen bereits im Ansatz radikal trennt. Für ein paar fröstelnd kalte, beklemmende Szenen erhalten wir Einblick in diese Mechanismen und verstehen beinahe schon, wie klein der Schritt sein mag zwischen doktrinärem Gebaren im Alltag und militantem Fanatismus bis hin zur völligen Lebensaufgabe im Dienst der heiligen Mission. Dem Darsteller des Yunes ist es großartig gelungen, die beängstigend kleinen Schritte, die dorthin führen können, anhand feinster Details zu veranschaulichen, und auch hier verläßt der Film niemals den Boden des Realen, vermeidet melodramatische Momente, bleibt nahe an den wenigen Personen in ihrem eng umrissenen Lebensraum – Uni, WG, wenige Straßen oder Plätze. Die große Weltpolitik bricht plötzlich von außen ein an diesem 11.9., fassungslos wie alle starren Chris und Julia auf die Mattscheibe, und besonders Chris muß sehr hart mit sich kämpfen, um die schlimmen Gedanken an sich heranzulassen und sich vielleicht von den Erinnerungen an eine unbeschwerte Freundschaft zu trennen. Dies ist also in erster Linie kein Film über Politik, sondern ein Film über Freundschaft und die Dinge, die sie beeinflussen und wie sie sie beeinflussen. Der Titel begreift den grundsätzlichen Konflikt sehr gut – Yunes und Chris sind sich einerseits sehr nahe, und doch gibt es in Yunes immer etwas – eine Sprache, eine Kultur, eine Religion, eine Denkweise – die den Westeuropäern fremd bleiben wird, und zwar unüberbrückbar und grundlegend fremd.
Ein in jeder Hinsicht extrem gut gelungener Film, sehr komplex, sehr spannend, und wie gesagt vor allem vorzüglich gespielt. Ein weiteres Highlight im Katalog deutscher Produktionen der letzten Jahre. (22.12.)