Herr Lehmann von Leander Haußmann. BRD, 2003. Christian Ulmen, Katja Danowski, Detlev Buck, Janek Rieke, Uwe-Dag Berlin, Martin Olbertz, Hartmut Lange

   Nachher habe ich irgendwann gedacht, naja, vielleicht fehlt dir auch nur der Zugang zu dieser Art von Humor. Dieser Mischung aus Coolness, kultiger Trägheit und den dazu gehörigen Szeneritualen. Keine Ahnung, jedenfalls hatten sich außer mir jede Menge offenbar erwartungsfroher Menschen (Westfalen und keine Kreuzberger!) im Saale eingefunden, um der Verfilmung von Sven Regeners zur Zeit ziemlich angesagtem Roman zu huldigen, mal wieder ein Event, der für volle Häuser sorgt und nach „Sonnenallee“ der zweite Film vom Herrn Haußmann, der wieder turbulente Gaudi im Spannungsfeld von Ost und West versprach.

 

  Aber, um es kurz zu machen, sehr viel Spaß hatte ich nicht und bin in jeder Hinsicht sehr enttäuscht. Weiß jetzt auch nicht mal mehr, ob ich überhaupt das Buch noch lesen möchte, denn da Regener auch noch selbst das Drehbuch hierzu verfaßt hat, hege ich wenig Hoffnung, daß sein Roman sehr viel besser ist. Sicherlich wird er mehr Zeit und Raum haben für Zeitkolorit, Milieu, Atmosphäre und die ausführliche Ausbreitung der verdreht-absurden Dialoge, die sich die stets leicht alkoholisierten Protagonisten in ihren Kreuzberger Kneipen tagaus, tagein liefern. Aber ganz sicher ist jedenfalls, daß es ihm absolut nicht gelungen ist, das mögliche Potential seines Werkes im Film sichtbar werden zu lassen. Denn der zeichnet sich vor allem aus durch einen grundsätzlichen Mangel an Charme, an Witz und vor allem an Timing. Die ersten zwanzig, dreißig Minuten sind schlicht eine Katastrophe, eine Aneinanderreihung total unkomischer Szenen (man denke nur an den Quatsch mit dem Hund, dessen Sinn mir bis zuletzt nicht einleuchten wollte), die ständig irgendwelche Erwartungen wecken, auf eine gute Pointe hoffen lassen, und die uns ebenso zuverlässig hängen lassen im leeren Raum, denn nach einiger (viel zu langer) Zeit verpuffen diese Szenen dann einfach, um von anderen, genauso mies getimten Szenen abgelöst zu werden. So geht das bestimmt eine halbe Stunde lang, bis ich für meinen Teil längst jenseits meiner Toleranzgrenze war und den Film schon abgehakt hatte, denn was Regie und Drehbuch in diesem ersten Drittel leisten, gab überhaupt keinen Anlaß, auf Besserung zu warten. Die einzelnen Figuren sind holzschnittartig und irgendwie hohl, und selbst wenn mal ein Schauspieler doch ein wenig Persönlichkeit herüberbringen kann, muß er scheitern am zu oft überzogenen, lebensfernen Entwurf. Die Karikatur kann ja so einiges leisten, auch was Satire und tiefere Bedeutung angeht, hier hingegen wirkt sie meistens albern und vor allem planlos. Man hat als Zuschauer keinen Schimmer, wo es hingehen soll, was im ganzen überhaupt beabsichtigt ist. Eine Art Story entwickelt sich ja erst, als unser Held eine fesche Köchin lieben lernt, und ihn diese Liebe herausreißt aus seiner selbstzufriedenen Lethargie. Dann erst hat auch der Film so seine Momente, entwickelt er wenigstens etwas Rhythmus und Stil, wenn auch weiterhin beste Chancen grob verspielt werden (die Begegnung mit dem DDR-Grenzer beispielsweise) und man sich weiterhin fragt, was aus einigen der Nebenfiguren werden soll, und wie das überhaupt mit Ost und West ist in dieser ganzen Clique, denn die Ereignisse drüben in der DDR, die ja nun wirklich jedermann bekannt sein mußten, werden mit keinem Wort angesprochen, so, als habe man sie in Herrn Lehmanns Kreisen gar nicht zur Kenntnis genommen.. Einzig ganz zum Schluß gelingen Haußmann und Regener dann plötzlich einige kurze Momente der Wahrhaftigkeit, Momente, in denen endlich mal was durchkommt, in denen dieser bis dato arg selbstverliebte, faule Film etwas zu sagen hat. Als nämlich die Mauer brüchig wird und fällt, an jenem 9.November eben, starren die Kneipenhocker in Kreuzberg in sprachlosem Staunen und wachsendem Entsetzen auf den flackernden Bildschirm. „Die kommen jetzt alle hier rüber,“ sagt die eine Tante und artikuliert kurz und knapp, was in all jenen vorgegangen sein mag, die nicht Teil des großen Jubelchores waren. Auch später, im Getümmel an der Mauer, verhalten sich Lehmann und die Seinen auffällig distanziert und checken lieber die Schwulenszene in Charlottenburg oder die nächste Kneipe. Das ist mal im Ansatz ein ganz interessanter Kommentar dazu, wie viele Berliner (und nicht nur Berliner) damals auch gedacht und gefühlt haben mögen, aber all dies kommt natürlich viel zu spät und viel zu kurz, und da stand mein Urteil über den Film schon lange fest und ließ sich bei meisten Willen nicht mehr revidieren. Ein schwacher Film ohne Stil und die erhoffte Komik, dafür mit fürchterlichen Durchhängern und nur wenigen Lichtblicken. Gesellt sich damit glasklar zu den mißlungenen deutschen Filmen in diesem Jahr, wovon es ja mittlerweile doch schon einige gibt. Und das am großen Jubeltag! (3.10.)