Herr Wichmann von der CDU von Andreas Dresen. BRD, 2002
Hendryk Wichmann, 25, ein CDU-Mann von der Pike auf, kämpft um Wählerstimmen für die Bundestagswahl anno 2002 in seiner Heimat, der Uckermark. Seine Parolen: Ein neuer Mann muß her und: Endlich frischen Wind in die Politik der Region bringen. Seine Probleme: Markus Meckel, SPD, dessen selbstgefällige Plakate an jedem Ort groß und breit und turmhoch über den mickrigen CDU-Plakaten thronen und: Die allgemeine Politikverdrossenheit in einer Gegend, die die Bezeichnung strukturschwach wahrlich verdient hat. Allzu viele Bürger winken ab, zermürbt von Arbeitslosigkeit, dem Zusammenbruch der einheimischen Wirtschaftsstrukturen, angelockt von den Sprüchen der Reps, die sich die Nähe zur polnischen Grenze zunutze gemacht haben, frustriert von den Folgen der endlosen Kohl-Dynastie, die statt blühender Landschaften aus der Uckermark eine vergessene, verlassene, trostlose Ecke im hintersten Winkel der Republik gemacht hat. Aber Herr Wichmann kämpft unverdrossen, kämpft begleitet von seiner schwangeren Freundin zwischen Eberswalde, Templin, Prenzlau und Schwedt, nimmt teil an Podiumsdiskussionen, lockt Politgrößen aus dem eigentlich sehr nahen und doch wieder unendlich fernen Berlin in die Provinz, stellt sich mitsamt seinem rot-weißen Schirm, seinen Gratiskugelschreibern, seinen Programmheftchen und Postkärtchen in jede erdenkliche Fußgängerzone, kommt mit Jugendlichen, mit Alten im Heim, mit Arbeitslosen und mit Konkurrenten aus den anderen Parteien ins Gespräch und legt sich ein festes Vokabular zu. Polemik gegen den Meckel, der nichts tut außer Geburtstag feiern und Radfahren. Polemik gegen die Grünen und ihren blindwütigen Umweltschutz, der vor jedem Frosch, jedem Feuchtbiotop, jedem Tümpel halt macht und damit den wirtschaftlichen Aufschwung der Region ausbremst. Polemik gegen eine uneingeschränkte Zuwanderung, die ja bekanntlich, so sehen es jedenfalls viele Uckermärker, Schuld ist an der ganzen Misere. So laviert sich Wichmann durch die Gespräche, paßt sich an, sucht gelegentlich nach einem eigenen Profil, redet aber manchmal auch schamlos nach dem Munde, läßt niemanden auch nur ein einziges Mal ausreden, gibt vor Schülern den Clown, speist die Alten mit abgedroschenen Phrasen ab und versucht unermüdlich, sich und die Mitmenschen zu mobilisieren, Optimismus auszustrahlen, die Leute an die Wahlurnen zu treiben. Das Resultat am 22.September scheint ihm Recht zu geben. Er schafft es immerhin, das Ergebnis der CDU von zuvor 20 auf nunmehr 21% zu verbessern.
Dies ist einer der ganz wenigen hämischen Kommentare, derer sich Dresen dann doch nicht zu enthalten vermochte (der Frosch, der über die brandenburgische Straße hüpft, wäre als zweiter zu nennen). Sonst hält er sich an die Devise, daß das wahre Leben die beste Show ist und begleitet den Herrn Wichmann stumm und diskret durch all seine Höhen und Tiefen auf seinem langen Weg durchs Land. Die Komik entsteht ganz von selbst – hier ein umgeblasener Sonnenschirm, dort ein kurzer verbaler Schlagabtausch mit einem frechen Passanten, und dazu das stoische Abspulen der gängigen Politphrasen, die sich alsbald als hohle Klischees entlarven. Hier taucht dann auch Ärger auf, denn die Art und Weise, wie sich der junge Herr Wichmann an die ausländerfeindlich gesonnenen Mitbürger ranschmeißt, ist wirklich nicht schön, ist beschämend und überflüssig. Aber dann erzeugt der Mann auch eine Art von Mitgefühl, denn so wie er sich da draußen abrackert, hat er was von einem philosophischen Helden. Er kämpft gegen die Tradition, mitten in der Diaspora, wo es für seine Partei noch nie etwas zu holen gab, er kämpft zusammen mit seinen Konkurrenten, die auch wie Handlungsreisende durch die flache Landschaft von Kaff zu Kaff fahren, er kämpft vielleicht wider besseres Wissen, aber mit nie versiegender Energie und nur von ganz kurzen Frustattacken heimgesucht, die er dann, weil er eben doch noch kein alter, abgezockter Hase ist, auch nicht völlig überspielen kann, auch nicht, wenn er sich von einer Kamera gefilmt weiß. Wie man zu seiner Partei und seinen Ansichten steht, ist zweitrangig, wenn man seinen Einsatz an sich würdigen möchte, und aus einer gewissen ironischen Distanz tut Dresen dies durchaus auch. Man ahnt deutlich, daß auch er sich nicht mit Wichmanns Sprüchen identifizieren kann, dennoch zollt er dem Wahlkämpfer in aussichtsloser Mission seinen Respekt, und dies macht einen großen Teil des Charmes dieses Films aus. Es entsteht ohne jeden Aufwand und ohne jedes groß angekündigte Programm das akkurate Porträt eines Mannes und zugleich einer ganzen Region mit ihren spezifischen Befindlichkeiten und Problemen, gespiegelt in sehr breit gefächerten Aussagen der Bewohner, von rechtsradikal bis anarchistisch, mal freundlich und ermutigend, mal abwinkend und abfällig, und man muß gar nicht viel von Städten und Industrieanlagen sehen, um allein den Begegnungen mit den Uckermärkern entnehmen zu können, wie es um sie und die Gegend dort steht. Und dann kann man Herrn Wichmanns Wut auf den zufriedenen, feist lächelnden Herrn Meckel schon wieder verstehen, denn auch ohne viel über die Materie im einzelnen zu wissen, ahnt man doch, daß auch Meckel und Konsorten mit ihren protzigen 46% die Misere im grenznahen Brandenburg nicht werden lösen können. Auf seine Weise jedenfalls hat Dresen nach einigen hervorragenden Spielfilmen mit diesem ebenso hervorragenden Dokumentarfilm ein weiteres hervorragendes Porträt des fernen Ostens abgeliefert. (30.6.)