In America (#) von Jim Sheridan. Irland/England/USA, 2002. Samantha Morton, Paddy Considine, Sarah Bolger, Emma Bolger, Djimon Hounsou

   Sechs lange Jahre sind ins Land gegangen seit Jim Sheridans letztem Film, den großartigen „The Boxer“, der seine besondere Fähigkeit, eine politisch engagierte, packende Geschichte mit großen Emotionen zu verbinden, zu einem vorläufigen Höhepunkt brachte. Irland war bislang auf unterschiedlichste Weise sein Thema geblieben, nun besinnt er sich also auf seine eigene Geschichte als irischer Immigrant in New York und erzählt von einer irischen Familie, die nach dem Krebstod ihres jüngsten Sohnes zu viert in die Staaten einreist und in NYC ganz neu anfängt. Sie zieht ein in ein großes, altes Mietshaus, das direkt aus „Rosemary’s Baby“ entliehen zu sein scheint und bevölkert wird von einem illustren Gemisch aus finsteren Latinos, ständig um Geld flehenden Junkies und anderen düsteren Gestalten, die den Mut der Familie mit zwei kleinen Mädchen auf eine harte Probe stellen. Auch sonst ist der Start in der Neuen Welt wie bekannt hart und entbehrungsreich: Der Vater kriegt keinen Job als Theaterschauspieler und verdingt sich schließlich als Taxifahrer. Die Mutter kriegt keinen Job als Lehrerin und verdingt sich erst mal als Bedienung in einer Eisbar. Die Mädchen müssen auf eine katholische Schule, wobei die Familie kaum Geld hat für Uniform und Bücher, geschweige den repräsentative Halloweenkostüme. Außerdem lastet der Tod des kleinen Frank schwer auf ihrem Gemüt, besonders der Vater ist, wie er selbst verzweifelt feststellt, nur noch eine leere Hülle ohne Gefühle und Gedanken. Zwei entscheidende Dinge schieben die Handlung in der zweiten Hälfte nach vorn: Die Mädchen lernen Mateo kennen, den geheimnisvollen, oftmals laut brüllenden Schwarzen mit wild hingepinseltem „Keep away“ an der Tür, und die Mutter wird wieder schwanger, muß aber bald erfahren, daß die Schwangerschaft entweder sie oder das Baby das Leben kosten könnte. Mateo, der selbst an einer tödlichen Krankheit leidet, entwickelt eine tiefe Beziehung zu den vieren, die letztlich den Ausschlag für ein wahrlich märchenhaftes Finale gibt: Mit seinem buchstäblich letzten Atem haucht er dem nebenan im Brutkasten liegenden Neugeborenen die nötige Lebenskraft ein und scheidet dann dahin, und zuvor hat er auch dreißigtausend Dollar für die  Krankenhausrechnung bezahlt.

   Spätestens hier spürte ich deutlich, daß sich etwas in mir sperren wollte gegen das Gesehene, und als Sheridan uns am Ende zum wiederholten Male die funkelnde Skyline New Yorks mit einem dicken Vollmond präsentierte, empfand ich dies verärgert nur noch als blanken Kitsch. Der amerikanische Traum funktioniert also doch noch, das Wunder von Manhattan kann wahr werden dank des guten Gottes von nebenan, undsoweiter. Na ja, so kurz vor Weihnachten mag man solche Botschaften möglicherweise schlucken und mit größerer Milde quittieren, dennoch muß ich sagen, daß Sheridans neuer Film in einigen Punkten bemerkenswert oberflächlich bleibt. Es ist klar, dies ist ein Thema, das ihm am Herzen liegt, das ganz eng mit seiner Biographie, mit selbst Erlebtem verbunden ist, und es kann ja durchaus vorkommen, daß man manchmal Dinge durchmacht, die einem später als völlig phantastisch und märchenhaft erscheinen. Doch bleibt immer die Frage, ob man dies dann in einem Film so direkt eins zu eins übertragen muß, und abgesehen davon kann ich die sehr zentrale Episode mit Mateo so auch nicht recht glauben, sie spricht eher die Mystiker im Publikum an, zu denen ich nicht gehöre. Was es heißt, als Immigrant in die USA zu kommen und dort um eine neue Existenz kämpfen zu müssen, ist schon sehr häufig Thema gewesen, und Sheridan gehört hier sicherlich nicht zu denen, die ein kritisches Bild dieser Gesellschaft zeigen, im Gegenteil, er versteigt sich oft in Klischees (der Schmelztiegel New York mit den vielen skurrilen Typen, aber so richtig böse ist eigentlich keiner), gibt sich vielleicht aus Dankbarkeit ausgesprochen positiv und optimistisch.

 

   Andererseits – natürlich hat sein Film auch beachtenswerte Stärken – erweist er sich einmal mehr als brillanter Regisseur sehr intensiver Emotionen, die er mitreißend und bewegend schildern kann wie kaum ein anderer. Vor allem der innere Kampf der Familie um Befreiung von dem Joch der Erinnerung, um einen wirklichen Neuanfang, wird sehr eindringlich gezeigt, und hier kommt dann auch die großartige Qualität der Schauspieler zum Tragen, die ihre Rollen mit eindrucksvoller Kraft und Präsenz gestalten. Ich war also durchaus ständig sehr gefesselt von der Darstellung, durchaus gerührt und bewegt von den wechselvollen Episoden, die die Familie auf dem Weg zu einer halbwegs stabilen, zukunftsweisenden Existenz zu überstehen hat, und würde jetzt auch niemals behaupten, dies sei kein guter Film. Aber dies ist dennoch ein Film, der in einigen Punkten ein wenig enttäuscht, und trotz meiner sehr großen Sympathien für Sheridans bisherige Filme konnte ich dieses mal darüber nicht hinwegsehen. Das liegt wahrscheinlich daran, daß ich nicht meinen Weg als Einwanderer in New York gemacht und als eher distanzierter Europäer ein etwas anderes Bild von den USA insgesamt habe. Niemand darf Sheridan seine Emotionen in diesem Zusammenhang absprechen, nur finde ich, hätte er an manchen Stellen einfach nicht ganz so dick auftragen müssen, und alles wäre in Ordnung gewesen. (15.12.)