In this world (#) von Michael Winterbottom. England, 2002. Jamal Udin Torabi, Enayatullah Imran, Paracha Hiddayatullah, Hossain Baghaeian, Yaaghoog Nosraj Poor, Godhrat Poor
In dieser Welt also ist dies möglich: Da leben seit fünfundzwanzig Jahren Tausende afghanischer Flüchtlinge unter elendsten Bedingungen in notdürftig zusammengeschusterten Hütten und Zelten in unwegsamstem Gelände. Fünfundzwanzig Jahre Not, Hunger, Isolation, Kälte, Angst und Tod, zuerst Tod durch die russischen Bomben, später dann durch die amerikanischen. Der Off-Kommentator stellt zu Beginn trocken fest, daß für die Entwicklung moderner Waffensysteme stets weitaus mehr Geld bereitgestellt wurde als für die Versorgung der durch diese Waffen entstehenden Flüchtlinge. Und er stellt ebenfalls fest, daß viele der Kinder in diesen Camp geboren wurden, niemals in ihrer Heimat gelebt haben und wohl auch niemals dort leben werden. Bevor man diese furchtbare Tatsache in sich sacken lassen kann, geht eine kurze Geschichte los, die Geschichte von zwei jungen Afghanen, Jamal und Enayatullah, die davon träumen, nach Europa zu kommen, nach London, dorthin, wo schon viele pakistanische Flüchtlinge und Emigranten leben. Sie machen sich auf den Weg, in LKWs, Containern, auf Schiffen, in Zügen und Autos. Über die Türkei, Italien, Frankreich, schließlich dann nach London. Enayatullah stirbt qualvoll den Erstickungstod im Container, Jamal hingegen wird tatsächlich dort ankommen, doch nach zwei Jahren, wenn er volljährig geworden ist, wird man ihn wieder ausweisen.
Mit semidokumentarischem Gestus und äußerster Verknappung läßt Winterbottom unerbittlich und erschütternd diese Reise ablaufen, und wie sein verzweifelt entschlossener Protagonist gönnt er sich und uns keine Ruhe, keinen Moment des Innehaltens, der Besinnung, sondern strebt rastlos vorwärts dem Ziel entgegen, nur um dort die endgültige, vernichtende Ernüchterung zu erfahren. Die Entbehrungen, die er im Camp und auch auf der langen Reise hat auf sich nehmen müssen, sind furchtbar, doch sie hätten sich womöglich gelohnt, allein die Zeiten sind nicht mehr so, die Politik ist nicht mehr so, das Boot ist voll, um ein gern zitiertes Wort zu benutzen, die reichen Länder wähnen sich in Not und machen die Schotten dicht. Nun sind Einwanderer ungeachtet ihrer wahren Geschichte zumeist Wirtschaftsflüchtlinge, die sich auf Kosten der gebeutelten Einheimischen bereichern wollen, Mitesser, die am hart erarbeiteten Wohlstand unverdient partizipieren wollen, Parasiten, die nichts tun als den Sozialstaat zu belasten. Explizit verbale Politik wird hier kaum gemacht, mit Ausnahme des erwähnten Anfangskommentars, doch das Schicksal der Menschen aus Afghanistan und Pakistan und woher auch sonst sie stammen mögen, erfüllt einen mit kalter, grimmiger Wut, was ungefähr Winterbottoms Ton entspricht. Ohne jegliche Sentimentalität oder weitschweifige Polemik trägt er eine Geschichte vor, die keines zusätzlichen Kommentars bedarf, eine Geschichte, die ganz elementar zu unserer Gegenwart gehört, sie entscheidend mitprägt, und kennzeichnend für dieses neue Jahrhundert ist wie auch für die letzten beiden Jahrezehnte des alten. Das nicht enden wollende Drama der Kriegsflüchtlinge in aller Welt auf der einen und die tatenlose bis gleichgültige Ohnmacht der übrigen Welt angesichts dieses massenhaften Elends und Sterbens. Flüchtlinge gehören zum Krieg, das weiß man und nimmt man in Kauf, weil es ja anscheinend nicht zu ändern ist. Niemand will sie haben, niemand will sie verantwortlich versorgen, sie erst recht nicht im eigenen Lande dulden, jeder möchte sie nur abschieben, möglichst weit weg, dorthin, wo sie einen nicht möglicherweise an die eigene Verantwortung erinnern können.
So sagt der Film, der an der Oberfläche so schlicht und direkt daherkommt, eine ganze Menge aus, auch wenn Winterbottom uns den Zugang nicht gerade erleichtert. Er schafft keine Identifikationsfiguren, keine besondere Nähe, bemüht sich nicht explizit um unsere Emotionen, sondern verläßt sich ganz auf das, was er einfach zeigt. Das kann er sich leisten, weil das Gezeigte eben so grundsätzlich wichtig und fundamental in der heutigen Zeit ist und weil ein humanes Statement auch nicht zwingend großes Pathos benötigt. Ich gebe zu, daß mir andere Filme von Winterbottom näher gekommen sind als dieser, aber ich kann mir andererseits kaum vorstellen, daß er bisher einen wichtigeren und aussagestärkeren gemacht hat, vielleicht abgesehen von seinem Sarajewo-Film vor ein paar Jahren, aber den habe ich leider noch nicht sehen können. (29.9.)