Junimond von Hanno Hackfort. BRD, 2002. Oliver Mommsen, Laura Tonke, Stephan Kampwirth, Teresa Harder, Rainer Sellien
Manchmal gibt es so Filme, in die man gleich nach ein paar Minuten eintaucht, nach anderthalb Stunden wieder auftaucht, und auch nach dem Verlassen des Kinos noch einige Zeit benötigt, um sich wieder völlig in der Alltagsrealität zurechtzufinden. Das sind dann gern auch solche Filme, bei denn man die ganze Zeit betet und fiebert, es mögen sich bitte keine falschen Töne einschlagen und die Magie möge doch erhalten bleiben – und bei denen dies wie durch ein Wunder auch geschieht. Und es sind dies auch solche Filme, bei denen man die ganze Zeit froh und selig denkt, Donnerwetter, daß es so was überhaupt noch gibt.
Solch ein Film ist dieser hier. Und es gehört gar nicht viel dazu. Eine ganz kleine Handvoll Leute, ganz normaler Leute in ganz normalen Wohnungen mit ganz normalen Jobs. Dazu eine Geschichte, wie man sie schon dutzendfach im Kino gesehen hat, dutzendfach auch verhunzt, verkitscht, verblödet und sonstwas, und ganz selten nur ist es einem Regisseur gelungen, uns Zuschauer wirklich zu bewegen, zu rühren statt ewig zu nerven mit monumentalem Schwulst, dummen Klischees, unerträglicher Banalität. All dies hätte hier auch passieren können, ist aber nicht passiert. Weil der Regisseur sehr viel Gefühl hat für die Details, die sogenannten kleinen Momente, die Alltagsszenen und Begegnungen, die Nuancen in den Dialogen, sehr viel Gefühl auch für Atmosphäre, hier wunderbar zart melancholisch, herbstlich-dunkel (den Junimond im Titel konnte ich irgendwie gar nicht mit den matt getönten Bildern in Einklang bringen), und sehr viel Gefühl für die Schauspieler, wobei ich mal wieder gemerkt habe, daß vor allem Laura Tonke das gewisse Etwas hat und unter allen deutschen Schauspielerinnen diejenige ist, die ich mit am liebsten sehe. Alles ist hier künstlerisch so toll gelungen, daß die Story wahrscheinlich noch so banal hätte sein können, mir hätte der Film dennoch gefallen. Und wer weiß wie aufregend ist die Story ja nun wirklich nicht – zwei im Grunde recht einsame Menschen lernen sich von Wohnhaus zu Wohnhaus durchs Fenster kennen (auch noch in Paderborn, man stelle sich das einmal vor!), finden zögernd zueinander, und als sie sich dann endlich richtig trauen, kriegt er die Diagnose Leukämie, was ihrem Glück ein kurzes, jähes Ende bereitet. Man kann sich leicht vorstellen, welch gruseliges Schmalzstück daraus hätte werden können, doch das Takt- und Stilgefühl des Regisseurs haben dies verhindert (und wer hätte das gedacht: Die katholische Provinz gibt tatsächlich einen pittoresken und fotogenen Hintergrund ab). Dazu die sorgfältigen Charakterzeichnungen – er ein Ex-Soldat der Kafor-Truppe, mit traumatischen Erinnerungen einen Kosovo-Einsatz und den Verlust des besten Freundes und gleichzeitig eines Kindheitstraums. Sie eine Kindertherapeutin mit reduziertem Privatleben und einer Problemfamilie – Mama greift zum Alkohol, Papa spielt den Tyrannen. Auch dies wird nicht aufdringlich ausgespielt oder zu stereotypen Leidensgeschichten umfunktioniert. Die beiden erzählen sich ganz ruhig und nach einigen Anlaufschwierigkeiten davon – zwei Leute, die Probleme haben, sich zu öffnen, Vertrauen zu entwickeln, weil sie es nicht mehr gewöhnt sind. Das gibt der Geschichte tiefe und Gehalt, ist aber nicht das wichtigste, denn was wichtigste ist hier das Gefühl, die Stimmung, die Magie – und mit dem Wort bin ich bei Kinofilmen wirklich sparsam. Und dies zusammengenommen, weil es eben eine solch schöne und seltene Einheit bildet, macht diesen Film zum zärtlichsten, schönsten, gefühlvollsten deutschen Film seit Menschengedenken. Ehrlich wahr! Mitproduziert hat der Wim Wenders, und endlich, seit Ewigkeiten, steht dieser Name mal wieder im Nachspann eines wirklich herausragenden Films, so wie er selbst die früher selbst mal gemacht hat. (1.10.)