Garage Olimpo (Junta) von Marco Bechis. Argentinien/Italien, 1999. Antonella Costa, Carlos Echeverría, Dominique Sanda, Chiara Caselli

   Glatte vier Jahre hat der Film gebraucht, um endlich auch in der ostwestfälischen Provinz gezeigt zu werden – jeder Schwarzenegger-Scheiß wird gleich um Dutzend billiger rumgereicht, jede neue romantische Comedy mit JLo und anderen Verdächtigen überflutet ohne jede Verzögerung die hiesigen Säle. Das hat nicht nur mit dem umgekehrt proportionalen Verhältnis von Kommerzialität und Qualität zu tun sondern sicherlich auch damit, daß solche Filme wie „Junta“ einfach nicht mehr in Mode sind. Explizit politische, engagierte, parteiische, betroffene Filme sind uncool, out, nicht mehr gefragt inmitten vieler Werke, die zwar kontroverse Themen berühren, sich aber gleichzeitig distanziert, uneindeutig, unverbindlich geben, weil ein Regisseur von heute nämlich keine Stellung mehr bezieht, weil das ja wiederum eine Bevormundung des armen, unmündigen Publikums wäre. Dieser Film bezieht glücklicherweise Stellung und, ob man’s glauben will oder nicht, das Publikum fühlt sich dennoch nicht bevormundet. Daß beides zusammen geht, outet die meisten der oben genannten Filmemacher nicht etwa als klug und überlegt, sondern einfach nur als feige und schlapp.

   Von der Mitte der Siebziger bis in die Achtziger hinein wütete in Argentinien die Militärdiktatur, der mehrere zehntausend Menschen zum Opfer vielen. Folter und Mord entwickelten sich zum gängigen herrschaftspolitischen Werkzeug, es herrschten vollkommene Willkür, ein maßloser Staatsterror (powered by the U.S. of A.), allgegenwärtige Angst und Gewalt und allgemein eine schreckliche Nichtachtung menschlicher Würde und Rechte. Jeder Beliebige, der irgendwie oppositioneller Gedanken oder Tätigkeiten verdächtig war, konnte jederzeit aus seiner Wohnung verschleppt und auf unbestimmte Zeit in geheimen Folterkellern festgehalten werden. Was dort geschah, entzieht sich der Darstellbarkeit durch einen Film, aber dieser hier kommt dem Unsäglichen sicherlich so nahe wie möglich. Im Stil eines klassischen Politfilms destilliert er ein Einzelschicksal heraus, das der jungen Maria, die Analphabeten in den Slums Unterricht erteilt und nebenbei auch politisch aktiv ist, natürlich gegen das Regime. Eines Tages kommt, wie in so vielen anderen Fällen, ein Trupp ziviler, bewaffneter Typen, zerrt sie aus der Wohnung in ein Auto, macht der Mutter falsche Angaben über den Zielort und verschwindet in der Garage Olimpo, wo Dutzende vermeintlicher Oppositioneller gefangen und gefoltert werden. Einer der Folterer ist Marias Mitbewohner Felix, und in ihrer Verzweiflung läßt sich Maria auf eine „Beziehung“ zu dem Jungen ein in der Hoffnung, lebend aus dem Gefängnis herauszukommen. Doch sie wird es nicht schaffen: Zusammen mit den anderen Gefangenen wird sie in ein Militärflugzeug geladen, aufs Meer hinaus geflogen und dort bei lebendigen Leibe einfach aus der Maschine geworfen. Ungefähr dreißigtausend Menschen, so sagt der Nachspann, sind auf diese Weise ermordet worden, „verschwunden“, so die offizielle Sprachregelung – nicht nur die haben die Argentinier offensichtlich von den Nazis übernommen.

   Dieser Schluß ist genauso erschütternd und grausam wie der ganze Film. Eine niederschmetternde, in ihrer Kompromißlosigkeit oft nicht leicht erträgliche Darstellung staatlich angeordneter Entmenschlichung. Die Regimegegner werden vor Ort zu Objekten, für die ein Operationsraum freigemacht wird, wo sie dann der furchtbaren Folter unterzogen werden. Diese Folter reduziert sie endgültig zu Objekten grausamster, auch sexuell motivierter Gewalt, ausgeübt von offenbar sachlich zu Werke gehenden, gleichgültigen Typen, die in ihrer Freizeit Tischtennis spielen und in eine Art Schichtdienst eingeteilt zu sein scheinen. Befehligt werden sie von einem Beamten mit Schnurrbart, der gründlich Buch führt, die Belegung der Folterräume festlegt und die Resultate notiert. Ein argentinischer Eichmann also – der wußte schon, weshalb er ausgerechnet in diesem Land Zuflucht suchte. Humane Regungen sind diesen Leuten fremd, sie genießen ihre Macht über die linken Schweine ein wenig, martern sie gewissenhaft und nach Vorschrift, sind empört, wenn mal einer zu Tode kommt, weil das gegen die Vorschriften verstößt, betrachten Frauen sowieso als Freiwild und scheinen nicht die leisesten Gewissensnöte angesichts ihrer barbarischen Tätigkeit zu verspüren. Felix ist genau wie die anderen, ein kühl und sadistisch veranlagter junger Mann, der die schreckliche Lage Marias ausnutzt, um mit ihr zu schlafen, um sie zu besitzen. Mitleid oder etwas in der Art hat er zu keiner Zeit, denn bei allem achtet er sorgsam darauf, daß sie nicht etwa entwischt. Er nimmt sie scheinbar gegen die Annäherungen seiner Mitfolterer in Schutz, aber nicht, weil ihm wirklich an ihr gelegen wäre, sondern nur, um sein Eigentum eifersüchtig zu hüten. Am Ende sieht er tatenlos zu, wie sie in einen Todestransport gesteckt wird, und in seinem Gesicht regt sich nichts. Maria schließlich wird von der aktiven, sozial und politisch engagierten jungen Frau degradiert zu einem hilflosen, nackten und völlig ausgelieferten Opfer des Terrors. Sie muß jede vorstellbare Erniedrigung erdulden, wird solange geprügelt und mit Elektroschocks gepeinigt, bis kaum noch eine menschliche Regung von ihr ausgeht, bis ihr Wille und ihre Persönlichkeit gebrochen zu sein scheinen. Dies ist eines der Ziele der Folter: Geständnisse, Namen, Orte aus den Menschen herauszupressen, aber auch ihren Stolz zu brechen, ihr Selbstwertgefühl, ihre Identität als Mensch. Am Schluß sind sie nichts mehr, wehrlose, blutende, zu Tode verängstigte Kreaturen mit verbundenen Augen, die sogar noch die Kellerräume reinigen, die Spuren der Folter selbst beseitigen müssen und schließlich wie Müll einfach von hoch oben aus einem Flugzeug wie Sondermüll ins Meer verklappt werden. Gründlicher kann man Menschen nicht mehr entwürdigen.

 

   Der Film ist gnadenlos und ohne Hoffnung, weil seine Geschichte so ist, weil es da nichts gibt, was mildern, Zuversicht oder Mut geben könnte. Wenn ein Land in der Hand solcher Terroristen ist, ist nur noch das Schlimmste zu befürchten, und das ist in ungezählten Fällen so geschehen. Wer dies überlebt hat, wird wohl kaum noch davon loskommen können, und vielleicht ist der Regisseur selbst einer von diesen Menschen. Der nun seine eigenen Erfahrungen im Film verarbeitet hat, einem Film von quälender Intensität, der die dauernde furchtbare Angst vor mehr Schmerzen und mehr Qualen so spürbar macht, wie kaum ein Film zuvor, und der eindringlicher als die meisten den Verlust der Menschlichkeit auf allen Ebenen demonstriert – zum einen bei den Opfern, zum anderen auch bei den Tätern. Nach diesen anderthalb Stunden wird es wohl jedem zumindest für den Rest des Abends sehr schwer fallen, wieder zum Alltagsgeschäft überzugehen. (5.8.)