Lichter von Hans-Christian Schmid. BRD, 2002. Maria Simon, Janek Rieke, Julia Krynke, August Diehl, Ivan Shvedoff, Sergej Frolov, Anna Janowskaja, Sebastian Urzendowski, Alice Dwyer, Martin Kiefer, Tom Jahn, Devid Striesow, Claudia Geisler, Zbigniew Zamachowski, Aleksandra Justa, Marysia Zamachowska, Herbert Knaup, Henry Hübchen
Über deutsche Filme gab es in diesem Jahr schon Gutes, aber auch mal weniger Gutes zu berichten, so daß es sich schon mal anbietet, über die sattsam bekannte Relation von Quantität und Qualität nachzudenken. Mit anderen Worten: Nicht jedes Werk, das die Kinoleinwand erblickt, wäre für die geeignet gewesen und hätte vielleicht besser irgendwo im TV-Programm untergebracht werden können.
Damit aber hat dieser neue Film von Hans-Christian Schmid nichts zu tun, denn dies ist ein souveränes und beeindruckendes Meisterstück, trotz bereits hervorragender früherer Filme wie „23“ oder „Crazy“ meiner Ansicht nach sein bisher bei weitem bester, und zudem ein überaus eindrucksvoller Gegenwartsfilm aus unserer schönen Republik.
Von dort nämlich, wo sie wahrscheinlich am schönsten ist: Frankfurt/Oder auf der einen, der freien, wohlhabenden westlichen Seite, und Slubice auf der anderen, der verarmten, repressiven und von ungezügelter Kriminalität beherrschten östlichen Seite. Der kleine Grenzverkehr in heutigen Zeiten also, Geschichten auf beiden Seiten der Oder, Geschichten von Hoffnung, Verzweiflung, Prostitution, Naivität, modernem Geschäftsgebaren, illegalen Grenzübertritten, gewissenlosen Schlepperbanden, selbstmörderischen Einzelgängen, der ganz normalen alltäglichen Geldnot, einem Kommunionskleid, das unbedingt angeschafft werden muß, dem Versuch, immer wieder etwas Neues zu starten, und allgemein die Unmöglichkeit, an den Verhältnissen wirklich etwas zu ändern. Schmid verschränkt mehrere in sich geschlossene Geschichten ineinander, ohne künstliche Berührungspunkte zu erfinden, wie dies sonst gern getan wird. Die Menschen existieren parallel voneinander, neben einander her, jede der Episoden bleibt für sich, die haben lediglich den Schauplatz und die damit zusammenhängenden milieubedingten Hintergründe gemeinsam. Diese Hintergründe sind zum Teil recht niederschmetternd, und so strahlt der Film auch nicht unbedingt sehr viel Optimismus oder Frohsinn aus. Er gibt sich karg, schroff, kühl, nah an den Menschen, aber doch so realistisch, daß die Unabänderlichkeit vieler Dinge im Raum stehen bleibt als unüberwindliches Hindernis. Die ahnungslosen Immigranten aus der Ukraine, die irgendwo auf der polnischen Seite ihrem Schicksal überlasen werden. Die Heimkinder, die früh schon der Kriminalität anheim fallen, und deren weiteres Leben entsprechend vorgezeichnet ist. Die polnischen Dolmetscherinnen, die auch weiterhin damit rechnen müssen, zu gewissen Geschäftsterminen mehr als nur ihre Sprachkenntnisse einbringen zu müssen. Der windige kleine Glücksritter, der immer wieder an der Hoffnungslosigkeit der Umstände scheitern wird. Der polnische Taxifahrer, der seiner Familie niemals das leben wird bieten können, das er ihr eigentlich bieten möchte. Der idealistische, naive junge Architekt, der die Verhältnisse nicht wird ändern können und dies lernen muß. Ihnen allen widmet Schmid Raum und Zeit, Außenseitern, Verlierern oder solchen, die sich immer weiter abstrampeln, ihre Ziele zäh und unbeirrbar verfolgen, genau wie denen, die scheitern, aufgeben müssen, sich wieder in den Bus nach Kiew setzen, oder überrascht feststellen, daß der nette ukrainische Flüchtling, dem sie eben noch unter beträchtlichem Einsatz zur Einreise verholfen hatten, sich nun bedankt, indem er noch die teure Kamera mitnimmt und erst mal ein paar Schnappschüsse vom Potsdamer Platz macht. Jede einzelne dieser Geschichten ist interessant, bewegend, spannend, jede macht schon einen Film für sich aus, und zusammengenommen ergeben sie ein faszinierendes Spektrum menschlicher Schicksale, ohne jemals besonders schwer oder überladen zu wirken. Der Film beeindruckt durch die grandiosen Darsteller, die ebenso grandiose atmosphärische Dichte, die man in dieser Form selten im deutschen Film antrifft, die präzise, wenn auch knappe Milieudarstellung und die herausragend realisierte Mischung aus Nähe und Distanz, aus Mitgefühl und Nüchternheit, der es vor allem zu verdanken ist, daß der Blick auf die Wirklichkeit niemals überlagert wird von Pathos oder anderen falschen Tönen. Die Filme von Andreas Dresen haben eine ganz ähnliche Qualität, nur daß Schmid mit diesem einen hier eine noch größere Universalität erreicht, weil er eben fünf Geschichten zu einer einzigen großen zusammenfließen läßt. Ihm ist jedenfalls ein großartiges Stück Gegenwartskino gelungen, so wie es die Briten oder Franzosen nicht besser hinbekommen könnten, und für meinen Geschmack einer der wichtigsten und stärksten deutschen Filme der Nachwendezeit – was ja nun wirklich etwas heißen will! (14.8.)