Mein erstes Wunder von Anne Wild. BRD, 2002. Henriette Confurius, Leonard Lansink, Juliane Köhler, Gabriela Maria Schmeide

   Es gibt viele tolle Filme über das Ende der Kindheit und den Beginn der Auseinandersetzung mit der Erwachsenenwelt, genannt Pubertät, viele schöne und düstere, tragische und komische, jedenfalls mitreißende Filme über jene Zeit, in der Neugier, Unruhe, Aufruhr, Widerborstigkeit den Ton angeben, in der das Diktat der Eltern nicht mehr widerspruchslos als Maß aller Dinge anerkannt wird, in der man sich anschickt, eigene Horizonte, eigene Vorstellungen, Wünsche, Träume zu formen und an ihrer Verwirklichung zu basteln. Die meisten der besten Filme dieser Art kommen aus dem Norden oder aus Frankreich, seltener aus unseren Landen, und ganz selten überhaupt wurde mal der Versuch unternommen, einen richtig ungeniert poetischen Film über das ganze Thema zu machen.

   Die Regisseurin dieses Films hat sich daran versucht und ist leider damit gescheitert, jedenfalls was mich angeht. Sie stellt uns die elfjährige Dole vor, die mit Mama und dem neuen Lover nach Heiligendamm in die Sommerfrische fährt, und unverhofft auf einen Bruder im Geiste stößt, nämlich auf Herrmann, einen Familienvater, der genau wie sie Spaß hat am Schwärmen, am Träumen, am Phantasieren jenseits der grauen Realität. Aus einer Urlaubsfreundschaft wird mehr, viel mehr, als der Mama und Herrmanns Ehefrau lieb sein kann, und alsbald heftet sich ein Verfolgertroß an die Fersen des vagabundierenden Paares, das von Mannheim aus zurück zur Küste zieht, an die Stätte sommerliche Vergnügungen, um dort ganz unschuldig und verspielt weiterzumachen. Aber auch zwischen den beiden bröckelt es schon – er wird geplagt von Gewissensbissen, die im der letzte Rest Vernunft eingibt, sie merkt, daß dieses ziellose Umherstreunen zu zweit auf Dauer eher langweilig werden wird und versucht, anderswo neue Impulse zu finden. Auf der Seebrücke verschwindet Herrmann dann unter ungeklärten Umständen, doch wird Dole für immer als ihr erstes Wunder in Erinnerung behalten.

 

   Dem Film fehlt, um es kurz zu machen, ein Kern, ein Zentrum, ein wenig mehr Substanz, was die Personen angeht. Zwischen Dole und Herrmann tut sich auf ihrer gemeinsamen Reise herzlich wenig mit Ausnahme zusammenhangloser Klischeesätze, die uns kaum dabei helfen, einen Zugang zu den beiden zu bekommen. Vor allem der gutmütige, kindliche, fast naive Mann bleibt uns völlig fremd, so gern wir ihn vielleicht auch näher kennenlernen würden, weil er einfach so nett ist. Dole hat immerhin in der ersten Viertelstunde Gelegenheit, sich als pubertierende Zicke zu outen, die den neuen Lover vergraulen will (und dies auch fast schafft) und sich eifersüchtig und trotzig in irgendwelche Märchenlandschaften flüchtet. Ein schwer romantisch veranlagtes Mädchen, eine sperrige Außenseiterin, die bei ihrer etwas selbstsüchtigen und berufstätigen Mutter wenig Halt findet. Herrmann wird auch kurz mal im Rahmen seiner Familie gezeigt, als sympathischer, warmherziger, kindlicher und von niemandem so recht ernst genommener Typ, der offenbar auch noch viel lieber ein Kind wäre, als ein Mensch mit handfester Verantwortung. Von diesem Punkt an kommt der Film aber nicht mehr vorwärts. Er entwickelt nichts mehr, er baut keine Spannung auf, er zieht sich im letzten Drittel beträchtlich in die Länge, und bietet außer ein paar netten optischen und musikalischen Impressionen nichts mehr, was mein Interesse geweckt hätte. Zwischendurch hat man den Eindruck einer Geschichte, die selbst nicht weiß, worauf sie hinauslaufen soll, eines Films, der behauptet romantisch, verträumt, phantasievoll zu sein, dies jedoch im Inneren überhaupt nicht ist, sondern lediglich eine Oberfläche kreiert, der jeglicher Unterbau fehlt, Die zweite Enttäuschung aus deutschen Landen hintereinander, und ich für meinen Teil werde in Zukunft mal wieder ein wenig vorsichtiger mit dem Konsum einheimischer Kinowerke sein. (14.7.)