My life without me (Mein Leben ohne mich) von Isabel Coixet. Kanada/Spanien/Frankreich, 2002. Sarah Polley, Mark Ruffalo, Scott Speedman, Deborah Harry, Amanda Plummer, Maria de Medeiros, Alfred Molina
Wo wir gerade bei Highlights sind – hier ist noch eins, sicherlich das letzte dieses Jahres, dafür aber ein besonderes. Ein sehr anrührendes, tief bewegendes Drama, das nur noch den eisigsten Eisklotz gleichgültig lassen kann, ein in jeder Hinsicht bemerkenswert geschriebener, inszenierter und gespielter Film, der zugleich wunderbarerweise all jene Kitschklippen umschifft, an denen jede andere Hollywoodproduktion todsicher gestrandet wäre. Die letzten Wochen im Leben einer krebskranken jungen Frau – man kann sich leicht vorstellen, was der US-Mainstream daraus gemacht hätte, aber dies ist kein Produkt des US-Mainstream, sonst hätte ich mir den Film auf gar keinen Fall angesehen. Daß ich es sehr wohl getan habe, nach all den monatelangen Ankündigungen (immerhin lief der Film bereits auf der Berlinale, also vor ungefähr einem Dreivierteljahr!), war aber genau richtig, denn selten nur erlebt man solch intensive hundert Minuten im Kino.
Als Ann von ihrem tödlichen Eierstockkrebs erfährt, bricht alles zusammen, wofür sie bislang ihr bescheidendes Leben gelebt hat. In einem Mobile Home im Garten ihrer Mutter, an der Seite eines Mannes, der sich auch nur mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, und sie selbst geht putzen in der Uni. Das erste Kind mit siebzehn, das zweite mit neunzehn, und jetzt ist sie dreiundzwanzig und muß erfahren, daß sie nur noch zwei oder drei Monate zu leben hat. Plötzlich muß sie etwas tun, was sie in den vergangenen sechs Jahren vollkommen verlernt hat, sie muß nachdenken, und zwar ganz schnell, nachdenken darüber, was sie noch tun muß, was sie erreichen will. Auf einem Zettel hält sie ihre letzten Aufgaben fest: Für ihre beiden Töchter Geburtstagswünsche bis zum achtzehnten Geburtstag auf Band sprechen, ihnen so oft wie möglich sagen, wie lieb sie sie hat. Endlich mal mit einem anderen Mann schlafen, damit sie überhaupt weiß, wie das ist. Einen anderen Mann verliebt in sich machen. Für ihren Don eine neue Frau finden. Ihren Vater besuchen, der seit Jahren im Knast sitzt. Ihre frustrierte, vom Leben total enttäuschte Mutter aufbauen. Und so weiter. Niemand außer ihr erfährt davon, daß sie bald sterben muß, sie allein trägt diese Last, und dennoch verwirklicht sie den wichtigsten Teil ihrer Vorhaben. Sie lernt tatsächlich einen netten Mann kennen, der sich total in sie verliebt, und sie lernt auch eine nette Nachbarin kennen sie gut mit den Kindern klarkommt, die Bänder bespricht sie und gibt sie dem Arzt, ihren Vater besucht sie, und auch ihrer Mutter gibt sie per Tonband letzte Ratschläge. Wenn der Film dann ganz einfach und unspektakulär zu Ende geht, scheint alles auf seinem Weg zu sein, doch Ann selbst wird an all dem nicht mehr teilhaben können.
Manchmal schnürt’s einem schon gehörig die Kehle ein, so traurig und erschütternd wird es, so eindringlich sind die Szenen zwischen diesen Menschen, um so mehr, als niemand von Anns Krankheit ahnt und jeder sie weiter mit seinen oder ihren vergleichsweise banalen Problemchen und Sorgen behelligt. Anns Stärke und Beherrschung sind atemberaubend, und Sarah Polleys schauspielerische Leistung ebenfalls, wobei ihre Mitstreiter ebenso hervorragend sind, und gemeinsam mit dem knappen, extrem sensiblen und ganz unpathetischen Stil Isabel Coixets dafür Sorge tragen, daß hier kein unerträgliches Melodrama entstanden ist, sondern ein wunderbar intimer, zärtlicher, warmer Film mit einem besonderen Blick für die sogenannten kleinen Momente, für das Zwischenmenschliche, und genau daraus entstehen dann ganz von selbst und ohne zusätzliche Manipulation die Emotionen, die uns als Zuschauer tatsächlich ins Herz treffen. Anns Zusammensein mit ihren Kindern, mit ihrem Mann, ihren Kolleginnen, ihrem Geliebten, wird durch das Wissen um ihren baldigen Tod derart mit Emotionen aufgeladen, daß man sich dieser Spannung kaum entziehen kann. Außerdem fühlt man natürlich sehr stark mit ihr, wünscht mit ihr, daß sie ihre Wünsche noch umsetzen und dementsprechend ruhig sterben kann. Ob all dies zum Schluß einen leicht irrealen Charakter erhält, wird irrelevant angesichts der bestechenden Schönheit des Films und der Klasse seiner Darsteller. Zum zweiten Male binnen kurzem kommt also ein Film aus Kanada, in dem es um das Sterben und die Vorbereitungen darauf geht, und zum zweiten Mal ist ein Meisterwerk daraus geworden. (29.12.)