Moonlight Mile (#) von Brad Silberling. USA, 2002. Jake Gyllenhaal, Dustin Hoffman, Susan Sarandon, Ellen Pompeo, Holly Hunter

   So waren die frühen Siebziger, auch in irgendeinem Kaff irgendwo in Neu England: Sly Stone spielt, T.Rex spielt, Jethro Tull spielt, Bob Dylan spielt, Jefferson Airplane spielt, Nick Drake spielt, Van Morrison spielt und die Stones spielen sogar den Titelsong. Geil. Und weit draußen in Südostasien wird ein Krieg ausgetragen, der den kleinen Städtchen die Jungs weggenommen hat. Manche kommen wieder, manche bleiben weg, dritte gehen erst gar nicht hin, meistens aber nur aus körperlichen Gründen. Wenn sich in den großen Metropolen was Revolutionäres abspielt, so spürt man draußen in der Provinz nicht sehr viel davon. Vielleicht sind die Haare etwas länger, die Mode ist etwas anders, und natürlich die Musik auch. Sonst ist alles beim alten geblieben.

   Familie Floss hat ein Problem: Ihr einziges Kind Diana wurde kurz vor ihrer Hochzeit mit Joe von einem Irren erschossen. Joe wohnt jetzt bei Ben und Jo, man hält sich gegenseitig aufrecht. Aus der erhofften juristischen Rache wird nichts, schon gar nicht aus der Todesstrafe, weil der Täter auf unzurechnungsfähig plädieren kann. Aus Bens Plänen, Joe in sein Immobiliengeschäft reinzuholen, wird auch nichts, denn Joe ist vor allem mal ein Träumer, der noch gar nicht so recht weiß, wo es für ihn hingehen soll. Und aus dem erinnerten Familienidyll wird erst recht nichts, als Joe den Schwiegereltern in spe mit Mühe eröffnet, daß Diana und er längst getrennt waren und nie die Absicht hatten, sich zu verheiraten. Aber irgendwann sind die drei dann doch über den Berg: Ben hetzt nicht mehr rast- und planlos durch die Gegend, sondern will einen Neuanfang starten. Jo überwindet ihre Schreibblockade und hört wieder zu saufen auf. Und Joe geht seinen eigenen Weg und der führt ihn zu der Postangestellten Bertie, für die er sich letztendlich dann doch entscheiden kann.

 

   Zum Schluß kommt dann, wie nicht anders zu erwarten war, die Botschaft über uns: Sei du selbst, finde deinen eigenen Weg, keine Lügen mehr, keine Kompromisse, folgen deinem Herzen, deinem Instinkt. Oder so ähnlich. Damit hatte ich gerechnet und es hat mich auch nicht mehr zu sehr genervt, vor allem deshalb nicht, weil sich der Regisseur für US-Verhältnisse doch verhältnismäßig dezent ausdrückt, den Kitsch im Rahmen hält, das ständig drohende Pathos weitgehend erfolgreich unterdrückt. Das ist weiß Gott keine Selbstverständlichkeit und muß dem Film schon mal zugute gehalten werden. Aber auch sonst hat er beachtliche Qualitäten, sowohl in der Gestaltung des Kleinstadtmilieus als auch in der sehr differenzierten und feinfühligen Zeichnung der Hauptfiguren. Die können sich wirklich mal entfalten und mitteilen, werden nicht untergebuttert von lärmenden Effekten oder dummen Klischees. In vieler Hinsicht erinnert der Film an klassische amerikanische Theaterstücke, an die sorgfältigen und eindringlichen Psychogramme ganz gewöhnlicher Durchschnittstypen, die sich plötzlich tiefen Krisen ausgesetzt sehen und feststellen, daß diese Krisen weit über den eigentlichen Anlaß hinaus reichen. Jo und Ben haben nicht nur ihr Kind verloren, sie sehen sich auch genötigt, ihr Verhältnis, ihre Ehe, ihr Zusammenleben mal wieder zu reflektieren. Jo wird durch Joes Fragen dazu gebracht, ihm und damit auch sich selbst zu erklären, weshalb sie mit Ben zusammenlebt, mit dem sie auf den ersten Blick sehr wenig gemeinsam zu haben scheint. Und Ben muß erst ziemlich tief fallen und in all seiner Betriebsamkeit und dem vordergründigen Eifer scheitern, bevor er einsieht, daß sein Leben schon längst veränderungsbedürftig war. Joe wiederum, ein netter Träumer, ein stiller, eher passiver Typ, braucht sehr lange, bis er sich endlich von all den Einflüssen ringsumher befreien und seinen eigenen Standpunkt vertreten kann. Vor Gericht hat er seinen Durchbruch, als er buchstäblich mit der Wahrheit über sich und Diana ringt und sie letztlich aussprechen kann, zu jedermanns Erleichterung. An ihm besonders wird die oben erwähnte Botschaft vollstreckt, er macht die grundlegendste Läuterung hier durch, indem er endlich erwachsen wird, seinen Platz im Leben findet, wie man so schön sagt. Wem diese Art von typisch amerikanischer Gesinnung nicht behagt (so wie mir), der kann sich immerhin damit trösten, daß er solch großartigen Leuten wie Dustin Hoffman, Susan Sarandon oder Holly Hunter bei der Arbeit zuschauen darf (und die machen ihre Arbeit richtig gut hier), und ich persönlich habe mich schon gefreut, die drei mal wieder auf großer Leinwand zu sehen. Und außerdem hört der Film damit auf, daß Van Morrison „Sweet thing“ singt – und allein deswegen würde ich ihm fast alles andere vergeben und verzeihen. (10.4.)