No man’s land (#) von Danis Tanović. Bosnien/Belgien/Frankreich/Schweiz, 2002. Branko Djuric, Rene Bitorajac, Filip Sovagovic, Georges Siatidis, Serge Henri Valcke, Katrin Cartlidge, Simon Callow

   Mitten im Balkankrieg dies: Eine bosnische Ablöseeinheit verläuft sich im Nebel, gerät in feindliches Feuer, wird aufgerieben bis auf zwei Mann, die sich in einen Schützengraben flüchten. Zwei Serben kommen dazu und machen sich einen Spaß daraus, unter einem der beiden Bosnier eine Mine zu platzieren, die sofort hochgeht, wenn der Mann aufzustehen versuchte. Dann gibt’s noch einen Toten, und zum Schluß ist man zu dritt: Ein ganz junger, unerfahrener Serbe, der Bosnier auf der Mine und der zweite Bosnier, ein älterer, zynischer Typ, der aber genau so hilflos ist wie der Grünschnabel. Die jeweiligen eigenen Leute können oder wollen auch nicht helfen, und schlußendlich tritt die UNO auf den Plan mit allem was dazugehört. Das Resultate der konzertierten Bemühungen: Nochmals zwei Tote und ein einziger überlebender Bosnier, der aber ganz allein auf seiner Mine liegen bleiben muß.

   So ein rabenschwarzer, grimmig böser und doch furchtbar wahrer Film über den ganzen Irrsinn des Krieges kann derzeit nur vom Balkan kommen, und wieder mal haben uns die Herren Filmemacher aus der Region nicht enttäuscht: Eine absolut brillante Satire gegen Krieg und Politik im allgemeinen, eine sarkastische Abrechnung mit der absurden Verstrickung der verfeindeten Völker, die kaum noch wissen, weshalb sie eigentlich Krieg führen müssen, die sich dennoch unausgesetzt gegenseitig verantwortlich machen, stecken bleiben in der kindischen Diskussion der Frage, wer denn nun angefangen habe. Ein Krieg, der sich gleich einem mörderischen Spiel längst verselbständigt hat, wie auch in Nordirland, der von beiden Seiten geführt werden muß zur Aufrechterhaltung der nationalen Identitäten und der dabei doch nichts anderes ist als eine widerwärtige Aneinanderreihung sinnloser, aberwitziger Gemetzel und Brutalitäten, die nur noch dem Selbstzweck zu dienen scheinen. Ja, und dann erscheint die großartige UNO, und die makabre Farce erreicht noch eine ganz andere Ebene. Engländer, Franzosen und Deutsche wimmeln durcheinander, verstehen einander nicht, sind sich nicht ganz klar über Kompetenzen und Hierarchien, diskutieren und salbadern endlos herum, stehen eigentlich nur tatenlos und ach allen Seiten sichernd daneben, sammeln die Toten ein, schauen betroffen unter ihren Blauhelmen hervor, versichern sich gegenseitig ihrer Unschuld und besten Absichten, und finden den Termin der nächsten Pressekonferenz sowieso viel wichtiger als das Schicksal des verminten Bosniers da unten im Graben. Die Presse ist eben auch dabei, ein knipsendes, blitzendes, scharrendes, blutgieriges Rudel, das sich mit einfühlsamen Fragen an die Leute heranschmeißt, eigentlich aber nur zynisch und herablassend ist und an den betroffenen Menschen null Interesse hat. Stay tuned ist die Standardphrase, die die fabelhafte Katrin Cartlidge in ihrem (leider leider) letzten Film wieder und wieder in die laufenden Kameras spricht, bleibt dran Leute, denn bei uns kriegt ihr den ganzen Krieg live und hautnahe frei Haus geliefert, jeden Tag die aktuellsten Reportagen, die spektakulärsten Bilder, die bewegendsten Momente.

 

   So viel bringt der Film ganz locker und ohne jegliche Anstrengung in nicht mal hundert Minuten unter, eine sehr souveräne und bemerkenswerte Leistung an sich, um so mehr, da von der ganzen Komplexität des geschehen nichts verloren gegangen ist. Tanović beherrscht vollendet die Kunst der Allegorie, des einen starken Bildes, das schon alles sagt. Wenige Dialoge, wenige Szenen reichen jeweils aus, um einen unvergeßlichen Eindruck zu erhalten von der Geisteshaltung der gegnerischen Krieger, der UNO-Bürokraten und der Nachrichtenjäger mit den Kameras. Und welches Bild könnte treffender die ganze groteske Situation zusammenfassen, als das letzte? Die UNO, die außer heißer Luft und zweier versehentlich erschossener Einheimischer rein gar nichts bewegt hat, rauscht mit großer Geste von dannen und hat jenen Bosnier auf dem Pulverfaß anscheinend völlig vergessen. Die Lage ist genauso fatal wie zuvor, eine falsche Bewegung nur, und alles fliegt ihnen um die Ohren, nur gibt es nichts und niemanden, der den Menschen dort wirklich helfen könnte – sie selbst am allerwenigsten. Ein Versagen der Menschheit auf ganzer Linie, wie immer, wenn ein Krieg die letzte Möglichkeit zu sein scheint. Insofern reicht die Aussage des Films natürlich über diesen einen Anlaß weit hinaus, sie ist völlig universal und wird in jedem Punkt überzeugend mit einer Mischung aus finsterem Sarkasmus, spöttischer Polemik und bitterer Verzweiflung dargeboten. Noch prägnanter kann politisches Kino fast nicht mehr sein. (5.6.)