Elsker dig før evigt (Open Hearts) von Susanne Bier. Dänemark, 2002. Sonja Richter, Mads Mikkelsen, Paprika Steen, Nikolaj Lie Kaas, Stine Bjerregard
Die Dänen sind schon wieder da, gar frohe Kunde für’s noch frische neue Jahr. Der Nachschub an Dogma-Filmen scheint zunächst nicht abreißen zu wollen - möge er niemals versiegen! Geschichten aus dem Alltag, komische und traurige, erotische und tragische, und zumeist alles von jedem in einem einzigen Film und dann auch noch so, daß es nicht die Spur angestrengt oder überladen wirkt. Das konnten früher eigentlich nur die Franzosen, aber wenn man die beiden vergleicht, oder wenn ich das tue, stelle ich fest, daß die Dänen einen wesentlich realistischeren, klareren Blick auf die Menschen haben, während die Franzosen eher ins Poetische, Surreale, Verträumte oder Ironische abwandern. Das soll hier nicht ihre wunderbaren Filme diskreditieren, es ist nur ein grundlegender Unterschied, den man ja mal feststellen kann, und der den Zuschauer je nach momentaner Befindlichkeit eher in die eine oder andere Richtung zieht. Mich persönlich zieht’s aktuell nach Norden, aber das wird mir ja auch weiß Gott leicht gemacht, denn nachdem sie die Lücke zwischen der ersten und der zweiten Dogma-Welle geschlossen haben (oder der deutsche Verleih sie endlich geschlossen hat, besser gesagt!), kommt ein Meisterstück nach dem anderen zu uns ins Kino. So wie das hier.
Ein Unfall reißt sieben Menschen aus ihrem bisherigen Leben: Ein junger Mann bleibt querschnittsgelähmt, seine Freundin sucht Trost und Geborgenheit und findet sie just beim Ehemann der Frau, die den Unfall verursacht hat. Der Mann, Niels, hat drei Kinder und verliebt sich in die junge Cecilie und ist bereit, seine Familie zu verlassen. Cecilie jedoch hängt eigentlich sehr an Joachim, will wieder zurück zu ihm, doch schließlich scheinen sie sich doch zu trennen. Wie es nun aber weitergehen wird, bleibt offen, Cecilie wird herausfinden, was sie in Zukunft will.
Ein offenes Ende also – Niels haust im Keller eines Freundes, die Familie richtet sich mühselig ohne Papa ein und Cecilie weiß noch gar nicht, was sie will. Damit muß man als Zuschauer leben und auch damit, daß uns dieser Film keine Chance gibt, bequem und leicht Partei zu ergreifen und die Sympathien zu verteilen. Jeder der vier Hauptfiguren hat Verständnis verdient – der total verzweifelte Joachim, den der Unfall aus allen Plänen und Träumen gerissen hat, Cecilie, für die das gleiche gilt, Niels, der sich seiner Gefühle bei aller Vernunft nicht erwehren kann und seine Frau Marie, die nach zu vielen Jahren der Eheroutine plötzlich allein dazustehen droht. Jeder der vier macht auch Mist – Joachim behandelt seine Umwelt mit Sarkasmus, Selbstmitleid und unerträglicher Gemeinheit, Cecilie in ihrer Unentschlossenheit macht sich nicht klar, was ihr Schwanken für andere bedeutet, Niels setzt seine Familie aufs Spiel ohne nur den Hauch einer sicheren Perspektive zu haben, und Marie muß einsehen, daß man vielleicht etwas früher schon mit Beziehungsarbeit hätte anfangen sollen.
All dies ist ganz normal und alltäglich, man hat es entweder selbst x-mal erlebt oder von anderen gehört, von Freunden, Familienmitgliedern, geschiedenen Eltern. Warum aber sollte man sich sowas noch im Kino anschauen, wo man es zu Hause eh schon rundherum jeden Tag sehen und hören muß? Warum sich dauernd dieses Kameragewackel, die komisch gefärbten Bilder antun, wo man auch schön glattes Hochglanzkino kriegen kann für das gleiche Geld? Man muß schon zu diesem Kino eine grundsätzlich positive Einstellung haben, sonst hat es keinen Zweck. Wer nach ästhetischem Hochgenuß oder purer Zerstreuung sucht, kommt vergeblich, und wer keinen Bedarf hat, sich auf die Leute hier und ihre Probleme und Gefühle einzulassen, kann auch wegbleiben. Alle, die bleiben, werden belohnt mit einem wunderbar gefühlvollen, intensiven Film, mit fantastischen Schauspielern, einer sensiblen Regie, die eine Szene nie zu lang stehenläßt, aber immer die entscheidenden Momente und Nuancen einfängt. Solche Filme müssen ihre Menschlichkeit nicht durch dicke Musiksoße oder pompös aufgeblasene Melodramatik beweisen – sie tun es viel überzeugender und wahrhaftiger durch die Art und Weise, wie sie sich mit den Menschen beschäftigen, wie sie sich ihnen nähern, mit Respekt und Diskretion, aber auch der Bereitschaft zu bitterer Ehrlichkeit und Offenheit. Der Film schmerzt manchmal schon, aber das tun alle wirklich guten Filme über solche Themen, denn nur so spürt man, daß sie einem nahegehen, daß man selbst zum Teil in diesen Geschichten steckt, manche mehr, manche weniger, daß man buchstäblich berührt wird von dem, was sich dort abspielt. Genau das tut dieser Film. Und bei aller Begeisterung für solch imposante, gewaltige Visionen wie die von Peter Jackson, muß ich doch sagen, daß für mich diese Dogma-Filme eher die wahre Essenz des Kinos repräsentieren. Sie sind mir einfach näher. (15.1.)