Sie haben Knut von Stefan Krohmer. BRD, 2003. Hans-Jochen Wagner, Valerie Koch, Pit Bukowski, Alexandra Neldel, Ingo Haeb, Daniel Nocke

   Tja, wie war das doch eigentlich damals 1983? Da war ich neunzehn, das Abi stand an, man durfte durchaus noch grob gestrickte kleidartige Pullover tragen (stehe ich heute noch zu!), ging sonntags abends zur Friedensgruppe oder wahlweise in die Teestube der Gemeinde, klebte ans frisch erworbene Auto sogleich ein paar Aufkleber gegen Atomkraft und für den Frieden und suhlte sich ansonsten knöcheltief im Beziehungsstreß. Die Siebziger warfen natürlich noch ihre langen Schatten hinüber, der sogenannte öffentliche politische Diskurs war noch nicht gänzlich erlahmt, wie in den unsäglichen Neunzigern, man steckte noch ganz frisch in der Ära Kohl, von der damals zum Glück noch niemand ahnen konnte, wie endlos lang sie dauern würde. Auf mehr soziologischer Ebene ging es damals (zwanzig Jahre ist das schon her, meine Güte!) sehr um die Gruppe, anders eben als in den unsäglichen Neunzigern, in denen die totale Vereinzelung angesagt war. Einzelgänger wie ich hatten es nicht eben leicht, aber ein Film wie dieser hier ist natürlich nachträglich (zu spät!) Wasser auf meine Mühlen.

   Schauplatz ist eine große Skihütte irgendwo in Tirol irgendwann im Winter. Zum Teil recht unfreiwillig findet sich dort eine größere Gruppe Mitt- bis Enddreißiger plus zwei Kinder zusammen, um auf Einladung ihres Freundes Knut einige Tage mit Skifahren gemeinsam zu verbringen, doch wie man sich vorstellen kann, verlaufen diese Tage längst nicht so friedvoll und harmonisch, wie man es gern hätte. Zuerst verschreckt die Nachricht, daß Knut zuhause von der Polente verhaftet wurde, die Gesellschaft und spaltet sie fortan in solche, die dennoch ihren Spaß haben und solche, die lieber an Knut denken und von Tirol aus Aktionen planen wollen. Dann taucht Knut fröhlich auf und erklärt, er sei bereits nach ein paar Stunden wieder frei gekommen, doch statt sich nun endgültig gemeinsam zu entspannen, zerreiben sich die Leutchen in allerhand Streitigkeiten, Eifersüchteleien, Sticheleien, solange bis zwei der Männer nacheinander abreisen, sich ein neues Paar gebildet hat, und man sich als Zuschauer ganz genau ausmalen kann, daß dies alles noch ewig so weitergehen wird. Und so war das anno ‚83. Dazu singen dann Bert Jansch und Nick Drake ihre wunderbaren Lieder (soviel zum Schatten der 70er), scheppert der New Wave von Heaven 17 und prügeln die beiden derangierten Jungs auf Kühe ein, wenn sie nicht gerade über ihre chaotischen Alten lästern.

   Der Film ist spektakulär fotografiert mit tollen Panoramabildern aus den winterlichen Alpen, er besticht durch ein gänzlich uneitles, extrem effektives und präzises Ensemblespiel und vor allem durch ein brillantes Drehbuch, das auf dem scharfen Grat zwischen entlarvender (aber nicht unbedingt denunziatorischer) Satire und geradezu fürchterlichem Realismus balanciert, ohne jemals zu einer Seite zu kippen, so daß unsereinem stets ein bitteres Lachen im Halse steckt, vielleicht weil wir uns selbst allzu sehr wiedererkennen in vielen Momenten, weil wir uns an diese gräßlichen Sprüche allzu gut erinnern oder einfach peinlich berührt denken, mein Gott, waren wir wirklich mal so doof? Die Frauen lavieren geschmeidig und intrigant im Beziehungsdschungel, bahnen an, was sich eben anbahnen läßt und springen auf einen anderen Ast, wenn ihnen ihr Kerl zu blöd wird. Die Männer kriegen wie immer nichts mit davon, stehen wie der Ochs vorm Berg, verbeißen sich in Fragen der Pädagogik und Autorität, nerven mit politischem Dogmatismus und unerträglicher Selbstgerechtigkeit, oder aber rangeln wie die Platzhirsche um die anwesenden Damen. Ab und an wird zu Gitarre und Bongo gefeiert und Gemeinsamkeit zelebriert, doch hinter den Rauschebärten und Nickelbrillen spielen sich genau der gleiche Kleinkrieg und die gleiche Gruppenkacke ab wie überall sonst und zu jeder anderen Zeit. Das vermeintlich so intensive und hingebungsvolle politische Engagement dient letztlich doch nur der Selbstbeweihräucherung, und die Beziehungskisten sind bei aller Offenheit und freiheitlich-fortschrittlicher Gesinnung genauso erbärmlich und öde und alltäglich wie in jeder anderen Gesellschaftsklasse auch.

 

   Dennoch, und da ähnelt der Film dem ähnlich hervorragenden „Tillsammans“ von Lucas Moodysson, mag man diese Leute irgendwie, sind sie einem noch nahe, möchte man sie ungern total verteufeln oder runtermachen, denn all dies ist mir mit Verlaub immer noch lieber als die unsäglichen Neunziger, in denen jede Art von Engagement ja völlig out waren, in denen die coole Pose und der kommerzielle Egoismus dominierten, obwohl die Musik wieder deutlich besser war als in den Achtzigern. Na egal, ich finde den Film jedenfalls klasse, er hat sehr viel Tiefgang und Biß, muß nicht mit aufgesetzten Pointen oder platten Kalauern protzen, sondern kann sich einmal mehr ganz darauf verlassen, daß die Realität viel wirkungsvoller und komischer ist, als jede Art der Verzerrung, und daß man mit einer so realitätsnahen Darstellung wie sie hier gelungen ist auch viel besser argumentieren kann. (24.11.)