Solaris (#) von Steven Soderbergh. USA, 2002. George Clooney, Natasha McElhone, Jeremy Davies, Viola Davis, Ulrich Tukur
Nach all seinen überaus irdischen und eigentlich durchweg brillanten Filmen der letzten Jahre hat es Steven Soderbergh nun zur Abwechslung (und Abwechslung braucht er offenbar vor allem anderen) ins All, in die Zukunft verschlagen, auf ganz neues Territorium. Daß er sich dabei gleich mit zwei Vorlagen messen lassen mußte, hat seinen Ehrgeiz bestimmt nur noch angestachelt, denn man denkt bei „Solaris“ natürlich nicht nur an den berühmten Roman von Stanislaw Lem, sondern auch an den fast ebenso berühmten Film von Andrej Tarkowski. Der ist nun dreißig Jahre alt, höchstens noch den Cineasten mit intaktem Langzeitgedächtnis in Erinnerung, und so gesehen ist gegen eine neue Version im neuen Jahrtausend nichts einzuwenden. Daß Soderbergh den Vergleich mit Tarkowski nicht zu scheuen braucht, hat er mehr als hinreichend bewiesen, und außerdem war Tarkowskis Version seinerzeit alles andere als unumstritten, auch beim Autor selbst. Eine ausladende, mit mystischen und religiösen Symbolen gespickte Oper zu verfremdeten Pergolesichorälen oder so ähnlich, und einiges von Lems Gedankenschärfe und –tiefe ist offenbar auch Tarkowskis eigenem religiösem Weltbild zum Opfer gefallen. Da käme ein so erdverbundener, forscher, moderner Amerikaner ja gerade recht.
Soderbergh läßt sich von vornherein erst gar nicht auf einen Vergleich mit dem alten Russen ein. Sein Film ist eine glatte Stunde kürzer, kondensiert das Geschehen erheblich und macht aus der ganzen Affäre eine straff erzählte, kompetent gefilmte, wenn auch nicht minder enigmatische Geschichte, in der die Menschen alptraumhaft mit den Abbildern ihrer Erinnerungen, ihrer Wünsche und Sehnsüchte konfrontiert werden, und sich entweder schmerzhaft und endgültig von ihnen lösen und fortan in einer Traumwelt mit ihnen gemeinsam leben müssen, ohne Kontakt allerdings zum wirklichen Leben auf der Erde. Der Planet Solaris, eine bunt gefärbte Zuckerwatte, lockend und zugleich bedrohlich, ist der Ort, an dem die Menschen nachholen oder neu leben können, was ihnen zuvor verwehrt blieb. Chris Kelvins Frau hat einst Selbstmord begangen, und nun erscheint sie ihm wieder, erst ganz deutlich in Erinnerungen an ihre ersten Begegnungen, dann leibhaftig, und doch nicht als Mensch. Sie hat kein Eigenleben, definiert sich nur über seine Sichtweise von ihr, während er, völlig gebannt von der Aussicht, von neuem mit ihr leben zu können, sein wirkliches Leben aufgibt und am Schluß mit ihr in vermeintlich ewig währendem Glück vereint ist.
Clooney und McElhone sind ein sehr charismatisches, erotisches Paar. Ihre großen Gesichter, die starrenden Augen geben ihnen etwa Maskenhaftes, Lebloses und verdeutlichen Soderberghs Konzept der Vieldeutigkeit vielleicht am besten. Kelvin scheint hin und hergerissen zu sein zwischen zwei Welten, zwischen einem realen Leben und einer jenseitigen, trügerischen Existenz, die es ihm erlauben würde, seine Projektionen Wirklichkeit werden zu lassen. Rheya, obgleich eigentlich keine autonome Persönlichkeit, erkennt den potentiellen Konflikt viel klarer als er und will sich ihm entziehen. Wenn man es also mal in abstrakten Worten ausdrücken wollte, geht es in der Geschichte um den Lebensentwurf der Menschen allgemein, um ihr Verhältnis zu ihrer Vergangenheit, um ihre Verluste, ihre Niederlagen und ihre Unfähigkeit, sie zu verarbeiten. Kelvin fühlt sich noch immer schuldig als Rheyas Selbstmord und möchte eigentlich nichts anderes, als ihn ungeschehen zu machen.
Dies alles mag gut und schön und auch gut und schön inszeniert und gespielt sein, dennoch verließ ich das Kino diesmal, bei Soderbergh zum ersten Mal überhaupt eigentlich, recht unzufrieden. Tarkowski hin oder her, das spielt eigentlich keine Rolle, man kann beide Filme völlig getrennt voneinander sehen. Ich halte Soderberghs Version letztlich für zu oberflächlich, zu stark verkürzend. Man muß sich beileibe nicht gleich auf einen wer weiß wie tiefsinnigen philosophischen Diskurs einlassen, und doch ist Lems Roman natürlich auch philosophisch, und davon hat Soderbergh so gut wie nichts transportiert. Sein Film ist auch ruhig, sieht nachdenklich aus, doch wenn man versucht, eine Essenz dieses Nachdenkens zu formulieren, fiele einem vermutlich wenig ein. Lems Reflexionen über die Menschen im allgemeinen fallen vollkommen unter den Tisch, seine kritischen, komplexen und skeptischen Betrachtungen menschlichen Strebens und menschlicher Visionen werden ersetzt durch gekonnt designte Dekors und eine stetig im Hintergrund schwellende New Age-Musik für Fahrstühle. Die Frische, Originalität und Dynamik von Soderberghs letzten Filmen fehlt, statt dessen herrscht eine gewisse dumpfe Feierlichkeit, die dem Thema trotz seiner Ernsthaftigkeit nicht unbedingt angemessen ist und den Film weitgehend lähmt. Na schön, sagt man sich also, nach all den geglückten Versuchen mal ein Fehlschlag, kann passieren, kein Problem. Da Soderbergh mit den nächsten Filmen bestimmt wieder eine ganz andere Richtung einschlägt, besteht ja immer die Chance, daß er wieder an die alte Form anknüpfen kann. (7.3.)