Sweet sixteen (#) von Ken Loach. England, 2002. Martin Compston, Michelle Coulter, Annemarie Fulton

   In seinen letzten beiden Filmen hat Ken Loach etwas verloren, das ihm früher (meistens jedenfalls) lebenswichtig war, nämlich seinen Optimismus, den Glauben, das trotzt aller Widrigkeiten, trotz aller Ungerechtigkeiten, trotz aller Strukturen, die der Menschlichkeit und Gerechtigkeit im Wege stehen, vielleicht doch noch ein Rest Hoffnung übrig bleibt, der sprichwörtliche kleine Silberstreif, der seinen unermüdlich kämpfenden Helden Mut gibt, weiterzumachen. „Ladybird, ladybird“ war einst vor zehn Jahren schon mal recht niederschmetternd, drumherum aber finden sich zumeist Polit- und Sozialdramen, die sich strikt der Resignation verweigern.

   Nun aber, vor knapp einem Jahr erst, kam „The navigators“, ein ebenso trister wie leider auch realistischer Bericht aus der modernen Arbeitswelt, und jetzt dies, erneut natürlich eine Sozialstudie, diesmal wieder sehr individuell geprägt, aber eben ein Film, der seinem Titel auf bitterste Art und Weise Hohn spricht. Just in dem Moment nämlich, wo Liam aus Glasgow sechzehn wird, ist sein Leben für die nächsten Jahre erst mal gelaufen, und all das, was mit den süßen sechzehn vielleicht an Versprechungen und Verlockungen einhergehen mag, wird ihm vorerst, wenn nicht für immer, versagt bleiben. Er hat gerade mit einem Messer seinen Stiefvater lebensgefährlich verletzt und wird schon von der Polizei gesucht. Außerdem hat er bereits eine ganz stattliche Karriere als Drogendealer und Bandenmitglied hinter sich, was seine Zukunftsaussichten sowieso entsprechend prägt. Loach bliebt den ganzen Film über nahe bei ihm, zeigt seinen familiären und sozialen Hintergrund, die gescheiterter, latent drogensüchtige Mutter, die gerade mal wieder im Knast sitzt., den kriminellen und brutalen Stiefvater, die Schwester mit Kind, die versucht, diesem hoffnungslosen Milieu zu entkommen, und schließlich die Freunde, die ebenfalls keine Alternativen zu mehr oder minder illegalen und gefährlichen Aktivitäten zu haben scheinen. Loach muß sich bei seinen Schilderungen nicht mehr auf lange soziologische Exkurse einlassen, es genügen ein paar Straßenszenen, ein paar Bilder aus dem Elendsghetto, in dem Liam und die Seinen wohnen, um anschaulich zu machen, daß ein Leben unter diesen Bedingungen nicht sehr viel Positives erwarten läßt. Liams Laufbahn entwickelt sich folgerichtig nur in die eine Richtung. Erst ein paar krumme Dinger mit den Kumpels, dann plötzlich der Anschluß an die Großen, an eine lokale Verbrecherautorität, die den zähen, ehrgeizigen Burschen für ihre Zwecke mißbrauchen wird. Dies bedeutet gleichzeitig den Bruch mit seinem besten Kumpel, der auf Distanz geht zu den größeren Geschäften und lieber bei den alten bleiben will, das heißt auch, lieber noch Kind bleiben will. Liam aber hat ein Ziel, er will seiner Mutter nämlich endlich ein intaktes Zuhause verschaffen, kauft einen Wohnwagen draußen im Grünen, will sie von der Drogensucht abbringen, von dem ewig gleichen elenden Kreislauf. Er steigert sich in seine Mission so sehr hinein, daß er sämtliche Kontakte und Freundschaften aufs Spiel setzt, alle Bedenken bezüglich Gewalt und Grenzen zu ignorieren bereit ist und vor allem den Blick für die Realität verliert und dafür, daß seine Mutter durchaus andere Pläne hat als den, mit ihrem Sohn zusammen zu wohnen und ihren Lover zu verlassen. Das Gegenteil indes tritt ein, und das kann Liam nicht verkraften und das führt auch zu der letzten gewaltsamen Auseinandersetzung, die für Liam das Ende aller Illusionen einläutet.

 

   Bestechend ist hier neben den überragenden Darstellern Loachs kompromißlose Darstellung, die uns einen Protagonisten präsentiert, der, was sehr schmerzhaft anzuschauen ist, unaufhaltsam in die Irre geht, der vielleicht sogar (eines der großen Fragezeichen des Films) seinen besten Freund tötet, nur um weiter im Geschäft bleiben zu können. Dies läßt Loach zwar letztlich offen, zeigt jedenfalls keinen Mord, doch er legt schon nahe, daß Liam sehr viel zu tun bereit wäre, um an das große Geld heranzukommen, alles in dem entschlossenen Streben, seien Mutter zu retten. Die aber natürlich gar nicht gerettet werden will, sondern sich freiwillig wieder in die Hände ihres miesen Freundes begibt, offenen Augen sozusagen in die Katastrophe, weil sie den Kerl nämlich liebt, wie sie ihrem Sohn schließlich zu verstehen gibt. Liam steht vor der Sinnlosigkeit seines gesamten Tuns, ohnmächtig, hilflos, zurückgewiesen, und genau dies läßt ihm keine Chance für die Zukunft, wenn er sich nicht von dieser Mutter-Bindung lösen kann. Loach schlägt dabei niemals pädagogische, psychologische oder sonstwie belehrende Töne an, er läßt das Drama abrollen, verweigert Liam zwar seine Sympathie und sein Verständnis durchaus nicht, hält sich aber mit der eigenen Stimme im Vergleich zu vielen früheren Filmen deutlich zurück. Eher ein Chronist sozialer Bedingungen und der Dinge, die sich unvermeidlicherweise daraus entwickeln, mit klarem Blick für die politischen und gesellschaftlichen Realitäten, mit sehr klarem Blick auch auf das Milieu, das nüchtern und bar jeder Romantik, diesmal auch nur mit sehr wenig humoristischen Anteilen vorgeführt wird. Der Film ist sehr spannend und intensiv, rauher und härter als gewöhnlich und zeigt uns ein Schottland, das nicht weiter von gewöhnlichen touristischen Postkarten entfernt sein könnte. Wie gesagt, in den letzten beiden Filmen hat sich der Ton geändert, er ist deutlich härter geworden - was gar nichts über die Qualität aussagt, denn dieser Film ist genauso grandios wie alle gutem Ken-Loach-Filme) -, und ich bin sehr gespannt, in welche Richtung sich der Mann weiter entwickeln wird. Wird er womöglich noch finsterer, oder zeigt sich irgendwann wieder besagter Hoffnungsschimmer. Na, schaun wer mal. (10.10.)