21 Grams (21 Gramm) von Alejandro González Iñárritu. USA, 2003. Sean Penn, Naomi Watts, Benicio del Toro, Charlotte Gainsbourg, Melissa Leo

Señor Iñárritu hat es offenbar mit folgenschweren Unfällen. Wie in seinem furiosen und düsteren mexikanischen Auftaktfilm „Amores perros“ kristallisiert sich auch in seinem nicht weniger furiosen und düsteren US-Debut ein fataler Unfall als Zentrum der schicksalhaften Wege und Begegnungen heraus. Dieser Unfall tötet einen Familienvater und seine zwei Töchter. Das Herz des Mannes wird einem todkranken Mathematikprofessor implantiert. Dieser Mann, dessen Frau noch unbedingt ein Kind mit ihm haben will, möchte herausfinden, wem er sein zweites Leben verdankt und lernt die verzweifelte und hart am Abgrund einer Drogen- und Alkoholsucht stehende Witwe kennen und verliebt sich in sie. Sie will den Mann, der ihr Leben zerstört hat, töten, denn für den Unfall hat sich kein Zeuge gefunden und der Fahrer ist auf freiem Fuß. Dieser Mann wiederum ist ein sehr frommer Mann, ebenfalls mit Familie und umfangreicher krimineller Vergangenheit, der jetzt aber mit seiner ungebüßten Schuld nicht leben kann und Sühne tun will. Seine Frau fleht ihn zwar an, einfach mit ihr und den Kindern weiter zu leben, doch er bricht aus und trifft schließlich auf die Witwe und ihren neuen Begleiter. Der Mann mit dem neuen Herzen wird nun doch sterben müssen, denn sein Körper stößt das fremde Herz langsam ab. Er schafft es aber auch nicht, auf Drängen der Witwe den anderen Mann zu töten, und so stirbt er schließlich selbst am Schluß. Wir lernen dabei, daß wir, wenn wir sterben, um 21 Gramm leichter werden.

 

Und so wird sehr viel von Leben und Tod, Schuld und Vergebung, Glauben, Verzweiflung, Hoffnung, Liebe und Haß gesprochen, und all dies kommt sehr schwer und tiefsinnig und lastend daher, und wird auch dadurch nicht leichter zu verkraften, daß die ganze Story zunächst mal wie eine kaputtgesplitterte Scheibe in vielen ungeordneten Einzelteilen dargeboten wird und sich erst allmählich zu einer verständlichen, in der Chronologie begreifbaren Einheit zusammenfügt. Ob man solche Art der Erzählung grundsätzlich schätzt oder nicht, ist sicherlich schon mal die eine Frage. Ich persönlich kenne nur wenige Filme, die das wirklich effektiv und sinnvoll getan haben, entweder um uns am Schluß völlig zu überraschen oder weil es dem Charakter der episodenhaft zerfaserten Struktur entsprach. Bei diesem Film bin ich auch eher im Zweifel, finde aber vor allem, daß Iñáritu im ersten Drittel sehr viel Emotionen verschenkt, weil wir einfach zu lange brauchen, um die Puzzleteilchen zu ordnen, anstatt und auf eben jene Emotionen zu konzentrieren, denn um sie geht es eigentlich vorrangig hier, um extreme, intensive Gefühle und Situationen. Das wird hier so weit getrieben, daß es kaum eine Szene zwischen den Menschen gibt, die nicht besonders aufgeladen wäre mit Emotionen gleich welcher Art, und häufig sind es eben grundsätzliche Fragen nach Leben und Tod und dem Sinn dahinter undsoweiter, die da verhandelt werden. Wenn das Puzzle dann letztlich fertig ist und wir verstehen, was wann mit wem geschehen ist, wirken diese Szenen noch mal so stark und tief, hat Iñárritu endlich den Rhythmus gefunden, den er meiner Meinung nach von Beginn an hätte wählen sollen. Er balanciert sowieso auf einem sehr schmalen Grat, denn die Story bietet sehr viel Raum für Melodramatisches, klischeehaft Tiefsinniges und allgemein eine unglaubwürdige Anhäufung von Schicksal. So ganz denke ich hat er den Gefahren auch nicht ausweichen können, aber er hat zwei entscheidende Pluspunkte auf seiner Seite, die diesen Film dennoch zu einem außerordentlichen Ereignis machen. Zum einen sein konsequent dunkler, getragener, schwerblütiger Stil und seine Fähigkeit, jeder Szene die maximale Essenz und Spannung abzugewinnen. Zu anderen, und das wiegt wohl noch schwerer, die wirklich sensationell guten Schauspieler, die mögliche Mängel einfach vergessen machen durch die einmalige Intensität ihres Zusammenspiels. Leider kommt die fabelhafte Charlotte Gainsbourg ein wenig zu kurz, aber was Penn, Watts und del Toro hier zeigen, ist großartig und wahrhaft bewegend. Dies ist ein Schauspielerfilm im bestens Sinne, und obgleich ich Charlize Theron als Monster noch nicht gesehen habe, denke ich doch, daß Naomi Watts für ihre Darstellung den Oscar auf jeden Fall verdient gehabt hätte. Das kann ja noch werden in Zukunft. (1.3.)