5 x 2 (#) von François Ozon. Frankreich, 2004. Valéria Bruni-Tedeschi, Stéphane Freiss, Françoise Fabian, Michel Lonsdale, Géraldine Pailhas
5 mal 2, das heißt hier fünfmal Marion und Gilles, fünf Stationen ihres gemeinsamen Lebens, vom Kennenlernen im Urlaub auf Sardinien bis hin zu Scheidung. Dazwischen dann noch dies: In der Hochzeitsnacht schläft Marion mit einem amerikanischen Reisenden, während der Gatte sternhagelvoll oben im Hotelzimmer schlummert und dementsprechend außerstande war, den erwarteten ehelichen Vollzug zu leisten. Die Geburt ihres Sohnes Nicholas wird für Marion zur schweren Probe, denn das Kind muß in einer Notoperation geholt werden, die Mutter verliert viel Blut, während der Vater wie gelähmt und unentschlossen in der Stadt die Zeit totschlägt, statt seiner Frau beizustehen. Aber per Handy erklärt er ihr, daß er sie liebe und sie bittet ihn, ihr ein paar Sachen von zuhause ins Krankenhaus zu bringen. Bei einem Abend mit Gilles schwulem Bruder und dessen aktuellen Freund erzählt Gilles von einer Party, die er und Marion gemeinsam besuchten und die sich im Verlauf zu einer Art Sexorgie entwickelte, an der er schließlich teilnahm, sie aber nur zusah. Nachher in der Küche räsonieren die beiden dann darüber, daß gegenseitiges Vertrauen die Grundlage einer Beziehung sein müsse. Und noch zum Abschluß: Nach der ausgesprochenen Scheidung gegen die beiden noch einmal in ein Hotelzimmer, wo sie gegen ihren Willen miteinander schlafen. Sie schwanken zwischen Sprachlosigkeit und Verbitterung, regeln das Besuchsrecht mit dem Sohn. Als sie fast schon aus dem Zimmer ist, fragt er sie, ob sie es nicht noch einmal miteinander versuchen wollen. Wortlos schließt sie die Tür und geht.
So ungefähr ist der gesamte Film – erschreckend nüchtern und wenn man mal darüber nachdenkt, ziemlich traurig. Nicht kalt oder sentimental, ganz im Gegenteil, er ist sogar äußerst sensibel und feinfühlig und vermeidet andererseits übertriebene, in diesem Rahmen unpassende Gefühligkeit, kontert wo es Not tut, mit kühler, etwas bitterer Ironie und verläßt sich ansonsten auf die äußerst präzise und realistische Schilderung eher gewöhnlicher, wenig spektakulärer Begebenheiten und Situationen. Im Urlaub, daheim im der Küche, im Festsaal eines Hotels, im Krankenhaus und wieder im Hotel, vermutlich dem letzten, das sie irgendwie gemeinsam benutzen werden. Es fällt so sehr schwer, sich diesem Film zu entziehen, weil er so ruhig, so anstrengungslos inszeniert ist und so furchtbar nah an der Realität bleibt, das heißt, an einer Realität, die fast jeden von uns auf die eine oder andere Weise schon einmal tangiert hat oder, wie wir wohl wissen, sicherlich noch einmal tangieren wird. Man lernt sich kennen, räumt mit alten oder offenkundig verfahrenen Beziehungen auf, schwimmt zu zweit der Sonne entgegen, richtet sich dann als Ehepaar gemeinsam ein, hofft auf eine Art Zukunft, kämpft sich dann gegen allerhand Rückschläge und Prüfungen irgendwie durch, und stellt ein paar Jahre später fest, daß man den Kampf doch verlorenen hat, daß die Liebe tot ist, daß statt dessen nur noch Verwirrung, Müdigkeit, Verdruß da sind, sicherlich auch Trauer, aber an etwas Gemeinsames mag man nicht mehr glauben. So läuft’s halt, immer und ewig, das ist nichts Besonderes, das ist im Gegenteil ziemlich banal und gewöhnlich, und es macht dabei überhaupt keinen Sinn, Schuldzuweisungen zu versuchen, die Verantwortung zu verteilen, es passiert einfach so, entwickelt sich im Laufe der Jahre, mal ist der eine verletzt, mal der andere und bei all dem Kampf und Krampf im Alltag zerreiben sich schön langsam und gründlich all die schönen und großen Gefühle von einst zu Staub, der vom erstbesten Lüftchen schon davongeblasen wird. So oder ähnlich dachte ich die ganze Zeit während des Films, weil mir erstens die Thematik leider allzu bekannt ist, und Ozon und sein Team das zweitens so brillant umgesetzt haben.
Die ganze Geschichte wird, und das scheint jetzt so richtig en vogue zu sein, rückwärts erzählt, das heißt, mit der Scheidung geht’s los und dann chronologisch zurück bis nach Sardinien, wo einst alles begann. Vielleicht eine fatalistische Geste – so ist eben das Schicksal, niemand kann das ändern. Auf jeden Fall ein Mittel, um unsere Aufmerksamkeit zu konzentrieren, und zwar nicht darauf, wie das Ganze ausgeht, sondern darauf, was sich zwischen den beiden Menschen entwickelt, was sich verändert, und noch eher, wie sie selbst sich verändern, ihre Körpersprache, ihre Blicke. Was sie sich sagen und was sie sich nicht sagen können. Ihre Lügen und Geheimnisse, ihre Ängste, ihre Einsamkeit, ihre Enttäuschungen, letztlich ihre Entfremdung. Ein langer Weg ist das vom Schwimmen in die Sonne bis hin zum letzten Hotelzimmer, wo er sie vergewaltigt, ihre Tränen, ihre Abwehr nicht zur Kenntnis nimmt. Was in der Zwischenzeit geschieht, wird von den beiden großartigen Hauptdarstellern wunderbar nuanciert vorgeführt, was eben durch Ozons detailgenaue Regie perfekt unterstützt und ergänzt wird. Die Wahrhaftigkeit dieser Darstellung beruht nicht auf expliziten, besonders profunden Dialogen oder aufwendiger Psychologisierung durch den Regisseur, sondern darauf, daß Marion und Gilles in jedem Moment, in allem, was sie tun und erleben, ganz nah und aufmerksam begleitet, beobachtet werden, mit einer perfekt abgewogenen Mischung aus freundschaftlicher Neugier und gesunder Distanz und großer Sensibilität gegenüber Kleinigkeiten im berühmt-berüchtigten zwischenmenschlichen Bereich. Die schmelzenden italienischen Canzones am Ende jeder Episode sind einerseits ein ironischer Kommentar zum vorher Gesehenen und andererseits eine melancholische Reminiszenz daran, daß es ohne Hoffnung und große Träume eben auch nicht geht. Großes Kino ganz ohne große Gesten. (1.11.)