Big Fish (#) von Tim Burton. USA, 2003. Ewan McGregor, Albert Finney, Billy Crudup, Jessica Lange, Marion Cotillard, Helena Bonham Carter, Alison Lohman, Danny de Vito, Steve Buscemi

   Tim Burton ist an sich schon mal ein sehr sympathischer Typ, ein kleiner Junge, der Filme für kleine und große Jungs macht. Ich kenne nicht alle seine Filme, und wenn ich an solchen Unsinn wie das Planet-der-Affen-Remake denke, weiß ich, daß ich auch nicht alle kennen muß, doch die, die ich kenne, sagen mir, daß hier ein ganz eigener Kopf am Werk ist, einer, der in Hollywoods öder, konformer Szenerie weiß Gott mehr als selten und kostbar ist. Wenn ich mich allerdings ganz ehrlich frage, wieviel wirklich gute Filme ich bisher von Burton gesehen habe, gerate ich ein wenig ins Stocken, um dann am Ende festzustellen, daß einzig „Ed Wood“ ein kongeniales Meisterwerk geworden ist, während ich an allen anderen das eine oder andere auszusetzen hatte.

   Gerade deshalb hat es mich so gefreut, daß jetzt mit „Big Fish“ seit langem mal wieder ein absolut guter, gelungener Tim-Burton-Film zu sehen ist, einer, der den kleinen Jungen verrät, den fabelhaften Geschichtenerzähler, den visuellen Fantasten, den Märchenonkel aus Amerika, ein wenig subversiver als Herr Spielberg, der andere große Märchenonkel, wenn auch Burton seine Herkunft genauso wenig verleugnen kann.

   „Big Fish“ ist eine Lebensgeschichte und eine Vater-Sohn-Kiste. Edward Bloom erzählt für sein Leben gern Geschichten und spinnt dementsprechend seine eigenen Erlebnisse nach Herzenslust in den buntesten, wildesten Farben immer weiter, bis er schließlich an Krebs leidend daniederliegt und sich seine Familie um ihn versammelt. Seine Frau, die er einst mit einem Meer von Narzissen umwarb, sein skeptischer Sohn Will und dessen schwangere, französische Ehefrau. Im Auge einer Hexe hat Bloom einst seinen Tod vorausgesehen, und kann deshalb dem Ereignis gelassen entgegen blicken. Will ist weniger gelassen, hatte mehrere Jahre lang keinen Kontakt zum Vater, lebte in Paris und kehrt nun nach Alabama zurück, um vielleicht doch noch zu erfahren, wer sein Vater eigentlich ist, wer sich hinter all den Fabeln, Legenden, Witzen und Possen verbirgt, die der Sohn seit seiner Kindheit wieder und wieder anhören mußte. Wie er am Geburtstag seines Sohnes den Riesenfisch mit dem Trauring fing, wie er zum Superhelden seiner Heimatstadt wurde, wie er mit dem Riesen Carl loszog, die geheimnisvolle Stadt der Toten entdeckt, beim Zirkus landet, seine zukünftige Frau sieht und unter unsäglichen Opfern ihre Identität erfährt, als James-Bond-Verschnitt die Schlitzaugen narrt, als erfolgreicher Tykoon die Totenstadt restauriert undsoweiter. Will kann nur noch mit Augenrollen auf Edwards Auftritte reagieren. Der Vater ist in seinen Augen nurmehr ein Hanswurst, der sich zum Gespött der Zuhörer macht, die ebenso wie er erschöpft sind von den immer gleichen Anekdoten und den großen alten Mann lediglich aus Mitleid gewähren lassen. Edward aber widersetzt sich hartnäckig den Versuchen Wills, hinter die Fassade zu blicken, und Wills Mutter Sandra deutet darüber hinaus an, daß viele dieser wüsten Geschichten durchaus einen wahren Kern enthaltern, so daß Will zusätzlich verunsichert wird. Zuletzt kann ihn der Vater überreden, die Geschichte seines Lebens zuende zu bringen, einen würdigen Tod zu fabulieren, und Will, mit der figurenreichen Mythologie des Vaters bestens vertraut, erweist sich als würdiger Sohn seines Vaters, der schließlich das Erbe weiter tragen wird an seine Kinder, und der schließlich weiß, daß sein Vater in seinen Geschichten, wahr oder unwahr, unsterblich bleiben wird.

 

   Zwei Stunden lang entfaltet Burton eine derartige Fülle von skurrilen Episoden, merkwürdigsten Gestalten - Riesen, Hexen, siamesischen Zwillingen, Werwölfe, Zirkusfreaks, wiederkehrenden Toten und dergleichen mehr - und poetischen Begebenheiten, daß man sich mal an John Irvings epische Sagen aus Neuengland und mal an Emir Kusturicas  fantastischen „Arizona Dream“ erinnert fühlt. Manche der Episoden sind wunderbar witzig, andere wieder fast ein wenig sentimental (das verrät dann den Amerikaner in Burton), und leider kriegt es Burton nicht ganz hin, den erwähnten und im Kern eigentlich sehr interessanten und bewegenden Vater-Sohn-Konflikt gleichberechtigt zu integrieren, zu groß ist einfach seine Lust am Spinnen und Träumen, und man spürt es als Zuschauer ganz deutlich, daß er sich eigentlich dann am wohlsten fühlt, wenn er Edward Blooms üppige Phantasie in ebensolche Bilder umsetzen darf. Dann ist er zweifellos einzigartig, nur fällt es ihm eben immer etwa schwer, eine gesunde Balance zu halten, was ja zum Beispiel den potentiell so schönen „Sleepy Hollow“ letztlich ruiniert hat. Hier kriegt er die Kurve, vermeidet zu grelle Effekte, bleibt verspielt, liebenswürdig, verträumt, charmant, und er gibt seinen Schauspielern genügend Raum, und das kann ja nur gut sein, denn es sind durchweg glänzende und glänzend aufgelegte Schauspieler, die die zahlreichen bizarren Ideen mit Leben und Menschlichkeit füllen. So hat man also hier ein Füllhorn von unermüdlichen Überraschungen, zauberhaften Einfällen, großartig witzigen Geschichten, nachdenklichen und melancholischen Momenten, niemals langweilig, immer bestens temperiert und rhythmisiert, mit Schwung inszeniert und alles in allem einfach ein feines Vergnügen. (21.4.)