Die fetten Jahre sind vorbei von Hans Weingartner. BRD, 2004. Daniel Brühl, Julia Jentsch, Stipe Erceg, Burghart Klaußner
„Die fetten Jahre sind vorbei“ und „Ihr habt zuviel Geld“, das sind die Slogans, die Jan und Peter auf ihren nächtlichen Streifzügen in den schicken Villen der reichen Berliner Vorstädter hinterlassen. Sie klauen nicht, sie arrangieren lediglich die Inneneinrichtung ein wenig nach ihrem persönlichen Geschmack um und hinerlassen als Denkzettel ihre Signatur – „Die Erziehungsberechtigten“ nennen sie sich, und daraus wird schon klar, daß sie eine echte Botschaft haben. Ansonsten sind sie Kumpel seit fünfzehn Jahren, ein wenig abseits vom Mainstream, und sie haben vor allem erkannt, daß die Organisation der Welt nicht gerecht ist. Mit Peter ist Jule befreundet, die auf ihre Weise schon Erfahrung mit dem Geldadel gemacht hat, als sie nämlich einem Manager den Mercedes gerammt hat und jetzt ungefähr bis ans Ende ihres Lebens in Schulden steckt, wo doch dieser Typ sein Auto aus der Portokasse hätte bezahlen können. Jan und sie kommen sich dann etwas näher, und auf einem gemeinsamen Trip landen sie zufällig in der Nobelhütte just jenes Managers. Jule beschließt, ein wenig Revanche zu nehmen, doch der Herr kommt ihnen dazwischen, und in einer hastigen Aktion kidnappen ihn die drei kurzerhand, schleppen ihn in eine Berghütte nach Österreich ohne einen genauen Plan zu haben, wie es nun weitergehen soll.
Genau dies merkt man leider auch dem Film an, der bis zu jenem Punkt ganz vorzüglich funktioniert, temporeich, witzig, direkt, ein bißchen sexy und mit viel Gefühl. Lebensgefühl vor allem, dem Lebensgefühl der Leute, die den großen Erfolgsstories hinterherhinken, die sich dem Spießerleben und dem Karrieredruck versagen und lieber ihre Ideale und Träume ausleben möchten. Klar, für uns abgeklärte Coolcats hört sich das abenteuerlich naiv an (und das häufige Gelächter im Publikum legt auch eine gewisse Irritation nahe, so als hätten manche Zuschauer nicht einordnen können, ob das alles ernst oder nur als Satire gemeint war), aber so wie das hier rüberkommt, wirkt es doch echt und glaubwürdig. Auch als der reiche Manager auftaucht, hat die Geschichte noch reichlich Potential für spannende Entwicklungen, nur geht dann auf der Almhütte einiges von dieser Spannung verloren. Einerseits outet sich unser Geldsack plötzlich als waschechter Alt-68er, der gern noch einen Joint durchzeiht und sich an die Zeiten erinnert, da er mit dem SDS und Rudi Dutschke auf den Barrikaden stand, bevor er sich dann wie fast alle übrigen auch vom Establishment aufsaugen ließ und mit doppeltem Ehrgeiz Karriere machte. Auch sonst so standfesten die Ansichten der drei Jungen scheinen verunsichert zu sein, und so fährt die Gruppe schließlich einfach wieder zurück nach Berlin, und als Abschiedsgeschenk erläßt der Manager Jule ihre Schulden, so wie die sogenannte Erste Welt der sogenannten Dritten Welt ihre Schulden erlassen sollte. Der Schluß mißrät Weingartner dann doch ziemlich – ein Sonderkommando Bullen stürmt die Wohnung der drei, doch die hatten offenbar etwas geahnt und nur wieder eine Botschaft hinterlassen und sich rechtzeitig nach Spanien abgesetzt, wo sie nun ihren nächsten Coup planen, nämlich die Sabotierung einer Satellitenanlage im Mittelmeer, um sämtlich TV-Bildschirme in Europa erlöschen zu lassen. Weingartner verpaßt es einfach nach mehr als zwei Stunden, rechtzeitig und zügig auf eine Auflösung der Situation hinzuwirken, und so läßt er viel zuviel Zeit vergehen, baut noch eine Rivalitäts- und Eifersuchtskiste zwischen den beiden Freunden um das Mädchen ein, und irgendwann spürt man als Zuschauer, daß es zu spät ist, daß jetzt eigentlich so gut wie nichts passieren könnte, was sonderlich aufregend oder überraschend wäre. Die Pointe, daß der Manager eben doch ein gemeiner Kerl ist, kann niemanden so recht treffen, und die letzten Bilder von dem coolen Trio am Mittelmeer erinnern mehr an eine US-Gaunerkomödie. Klar ist aber doch, daß über weite Strecken durchaus viel rüberkommt von den drei Freunden und ihrem ganz besonderen Lebensentwurf, und es ist natürlich zu gleichen Teilen den wirklich fabelhaften Schauspielern zu verdanken, daß sich ihre Emotionen, ihre Freundschaft, Liebe und Leidenschaft so unmittelbar und mitreißend übertragen. Leider fehlt mir momentan der Kontakt zu dieser Altersgruppe, weshalb ich auch nicht zu beurteilen vermag, inwiefern das hier Dargestellte vielleicht repräsentativ für die Generation könnte, aber das ist auch eigentlich egal, denn es geht wirklich um Ideale, um Schwärmereien, die auch ganz ernst genommen werden, ohne daß nun daraus gleich ein Thesenfilm geworden ist. Ein bißchen provokativ sind viele der Sprüche auf jeden Fall, sie erinnern uns einerseits an alte, längst vergangene und über Gebühr nostalgisch verschwommene Zeiten und lassen uns dennoch andererseits fragen, ob sie nicht doch sehr wohl auf das Hier und Heute übertragbar sind, und ob uns lahmen, bequemen Sofahockern ein bißchen Revoluzzerpep nicht auch von Zeit zu Zeit ganz gut anstünde. Bis auf die Mißtöne gegen Ende also ein wirklich spannende Film für Herz und Hirn und mit einigen Gedankenstößen für die Sportschau am Samstag. (15.12.)