Babi léto (Frühling im Herbst) von Vladimír Michálek. Tschechien, 2001. Vlastimil Brodsky, Stella Zázvorková, Stanislav Zindulka, Ondrej Vetch
Filme über alte Leute sind ungeachtet aller demographischen Tatsachen noch immer so exotisch wie Filme aus Papua Neuguinea. Alte kommen sonst höchstens am Rand vor oder werden verniedlicht in netten Komödchen, und ganz ganz selten mal sieht man ein Werk, das sich wirklich ernsthaft darum bemüht, die Lebenssituation solcher Menschen zu erfassen und irgendwie zu verarbeiten, komisch oder auch anders. Warum das so ist, ganz klar: Alte erinnern uns junge vitale Leistungsträger an unsere eigene Zukunft, führen uns Gebrechlichkeit, Verwirrtheit, Einsamkeit vor Augen und vor allem die Tatsache, daß wir spätestens dann von niemandem mehr geliebt, gebraucht, gewollt sein werden. Indem wir sie so behandeln, wie wir es eben tun, rächen wir uns praktisch schon im Voraus an unserem eigenen Schicksal, das ja, wie wir jeden Tag mit neuer Gewißheit lesen und hören, höchstens noch düsterer ausfallen dürfte.
Aus Tschechien kommen oft und gern solche verschmitzten, verqueren und ziemlich stillen Filme, die unter ihrer heiteren, leicht anarchistischen Oberfläche durchaus noch andere Gedanken bewegen. Wenn man also hier den 76jährigen Frana hat, einen störrischen, unangepaßten, widerborstigen Prager und ihn gemeinsam mit seinem Freund Eda die unterschiedlichsten Streiche verüben sieht, kann man dies gut als reine Komödie über zwei alte Männer verstehen, die ihrer Umwelt mit jungenhaftem Vergnügen ständig eine lange Nase drehen und stets davon profitieren, daß niemand zwei solch ehrenhaften gesetzten Herren irgendwelchen Unfug zutrauen würde. Zuhause gibt’s dann das unvermeidliche Scharmützel mit der nimmermüde schimpfenden Gattin, die all ihr Erspartes lieber für ihren Tod ausgibt, während er wahre Unsummen für alle möglichen und unmöglichen Dinge verpraßt. Nur als sie dann vor der Scheidungsrichterin sitzen, weil er endgültig zu weit gegangen ist und seinen eigenen Tod vorgetäuscht hat, kann sich die Gute nicht zum letzten Schritt entschließen, weil sie merkt, daß vierzig Jahre Zusammenleben halt doch ein starkes Band sind. Schon in diesen beiden Personen liegt allerhand Nachdenkenswertes: Warum zum Beispiel ist Frana so, was treibt ihn zu seinen unermüdlichen, manchmal aber auch sehr unüberlegten oder nicht zu Ende geführten Scherzen? Seine ganze Haltung hat etwas Kindisches, Verbissenes, eine Art Verweigerung, sich in das unvermeidliche Schicksal des Alters zu fügen. Zusammen mit seinem Freund kämpft er gegen das Altern, kann aber nicht verhindern, daß Eda am Ende doch im Krankenhaus landet, weil der Körper nicht mehr so mitmacht. Die Ehefrau wiederum ist das genaue Gegenteil, fügsam, brav, paßt sich gut den berechnenden und ziemlich egoistischen Plänen ihres Sohnes an, der sie gern in ein Heim schieben und ihre Wohnung für seine Zwecke, sprich sein konfuses Eheleben benutzen würde. Ihr Leben findet schon nicht mehr so im Diesseits statt, sie plant emsig und sparsam für ihr Begräbnis und ihre Grabstätte, rennt dauernd auf den Friedhof und versagt sich zugunsten der Bestattungskosten jegliche Freuden. Die beiden leben im Grunde völlig aneinander vorbei, jeder strebt in eine andere Richtung, keiner versteht den anderen, und doch gibt es hier den vielleicht optimistischsten Wendepunkt, als sie sich am Schluß doch einmal auf seine Sichtweise einläßt und endlich beschließt, zu leben so lange es geht und das Geld nicht fürs Sterben auszugeben. Auf ihre Weise versuchen Frana und Eda eigentlich nur, mit einer rasant veränderten und verjüngten Umwelt Schritt zu halten, statt wie die meisten anderen zu resignieren, apathisch am Fenster zu hocken bis man buchstäblich im Sitzen stirbt, oder sich in glanzvolle aber längst verblaßte Erinnerungen zu flüchten und so auch den Anschluß an die Gegenwart abbrechen zu lassen. In den Begegnungen mit ihrem Sohn kommt dann exemplarisch und etwas gerafft der grundlegende und leider ziemlich aktuelle Generationenkonflikt durch: Die Alten haben ihre Pflicht und Schuldigkeit getan und könnten eigentlich allmählich abtreten oder sich wenigstens von ihren Ansprüchen trennen. Die Kinder empfinden es durchaus als eine Verpflichtung, sich um sie zu kümmern, doch unter „kümmern“ versteht halt jeder etwas anderes. Der Sohn hat die neue Wohnung für die beiden bezahlt (nachdem er andere selbst übernommen hat), doch nun meldet er selbst Bedarf an und das heißt, daß die Alten wieder weichen müssen. Das Altersheim als letzte Station hängt wie ein Schwert über ihnen und entsprechend rigoros ist Franas Weigerung, jemals dort einzuziehen.
So mischt der Film äußerst gekonnt und amüsant sehr komische und sehr ernste Dinge, Mut machende und auch traurige, läßt sie ständig ineinander fließen, was schon am tief zerfurchten und eigentlich sehr melancholischen Gesicht des wunderbar charismatischen Hauptdarstellers liegt, der mal einen kindlich-unschuldigen Augenaufschlag und mal eine tiefe Müdigkeit und Traurigkeit und damit die zwei Pole seines Wesens offenbart. Die Streiche der beiden alten Kumpel sind köstlich (bis auf den letzten), die Schauspieler sowieso, das Hickhack mit Frau und Familie meistens auch, doch sieht man hinter alledem deutlich auch eine ganz andere Ebene, die verhindert, daß man den Film lediglich als leichte, freche Komödie über störrische Alte sehen kann. Er beweist jedenfalls, daß man schon viel sagen und durchaus nie den Blick für die Realität verlieren kann, ohne gleich in Frust und Depression zu verfallen, wie es vielleicht naheliegend wäre. (11.2.)