Gegen die Wand von Faith Akin. BRD, 2004. Sibel Kekilli, Birol Ünel, Catrin Striebeck, Güven Kiraç, Meltem Cumbul

   In seinem preisgekrönten Film versammelt Faith Akin mit gewohntem, beeindruckenden Temperament sehr viel Schicksal und noch mehr Gefühl, sehr oft mit großer Wirkung, manchmal aber auch, zumindest für meinen nüchtern-teutonischen Geschmack, ein wenig zuviel des Guten.

   Zwischen Hamburg und Istanbul trägt sich eine von sehr viel wüster Leidenschaft begleitete und am Ende doch unerfüllte Liebesgeschichte zu, die eigentlich Zweckheirat beginnt. Sibil sieht sich gefangen in ihrer streng traditionell denkenden Familie, und dabei will sie nur leben und ihren Spaß haben, statt eines Tages einen Mann zu heiraten, den ihre Eltern und ihr Bruder für sie ausgesucht haben. Sie trifft in Ochsenzoll einen kaputten Typen, der gerade sein Auto gegen eine Wand geknallt hat und deshalb als suizidal gilt. Äußerst widerwillig läßt er sich auf eine Scheinehe ein, die für sie die einzige Ausbruchsmöglichkeit ist, wenn sie nicht in die Türkei zurückkehren möchte. Kaum ist der Vertrag im Kasten, legt sie munter los, vögelt sich durchs Diskomilieu, schnupft allerhand Zeugs und läßt ihn in seinem Gammel und seiner Kneipenträgheit hängen. Irgendwann keimen dann doch Gefühle zwischen ihnen auf, doch als er aus Eifersucht einen Bekannten Sibils irrtümlich tötet und dafür in den Bau muß, kommt es zum Bruch. Sie wird von ihrer Familie praktisch verstoßen und geht zu ihrer Schwester nach Istanbul, wo ihr allerhand schlimme Dinge widerfahren. Er folgt ihr nach Jahren, kann sie aber nicht mehr für sich gewinnen.

   Von Anfang an geht es hier mit vollem Einsatz zur Sache, das pralle Leben tobt im Hamburger Kiez, und Akin kann hier seine Begabung für Milieustudien und explosiven Emotionen durchsetzt von Humor voll entfalten. Verglichen mit seinen bisher besten Filmen „Kurz und schmerzlos“ und „Im Juli“ aber ist der neue Film doch ein wenig zu lang geraten, was sich vor allem im letzten Drittel negativ äußert. Akin kriegt die Story irgendwie nicht richtig zu Ende, der Abschweifer nach Istanbul ist nicht wirklich geglückt, die atmosphärische Dichte der Hamburger Szenen wird nicht fortgeführt. Als sie dann auch noch brutal zusammengeschlagen, vom einem Taxifahrer gefunden und später Mutter seines Kindes wird, kommt einfach zuviel zusammen, entfernt man sich las Zuschauer auch ein wenig von den Figuren. Zuvor hat es Akin zwar auch schon ziemlich wüst hergehen lassen, hat seine Protagonisten mit voller Seele und vollem Körpereinsatz agieren lassen, aber irgendwie wurde der ganze Wirbel zusammengehalten von seiner Kraft als Regisseur und Dramaturg. Die letzte Viertelstunde verdirbt diesen Gesamteinsdruck leider, und ich wünsche, Akin hätte eine andere Lösung für all die Konflikte hier gefunden.

 

  Abgesehen davon beeindruckt der Film in seinen starken Szenen durch die Intensität der Gefühle, den rasanten Wechsel lauter, gewaltsamer und ruhiger, zärtlicher Momente und die Ausstrahlung der Hauptdarsteller. Die Tatsache, daß sich im Publikum bestimmt zu Dreivierteln türkische Zuschauer befanden, weist außerdem darauf hin, welch enormen Stellenwert der Film gerade für sie haben kann. Endlich mal wieder ein großer, auch international stark beachtete Film über Türken in Deutschland, und zwar keiner, der explizit als ethnischen Drama daherkommt, sondern einer, der die ganzen wichtigen Themen im Rahmen einer Liebesgeschichte abhandelt, was schon eine Seltenheit ist. Aber was heißt das schon – in Deutschland leben so viele Türken, daß es längst schon Zeit ist, daß man sie nicht mehr als exotische Randgruppe, sondern als integralen Teil der deutschen Gesellschaft sieht. Akins Film, wenn er auch bestimmt nicht sein bester ist, sondern ähnlich wie „Solino“ zur Hälfte sehr gelungen und zur anderen Hälfte ein wenig unbefriedigend, könnte in dieser Richtung einen sehr wichtigen Beitrag leisten, auch deshalb eben, weil er in Berlin den Preis gewonnen und damit zusätzliche Bestätigung erhalten hat. (15.3.)