In the cut (#) von Jane Campion. USA/Australien, 2004. Meg Ryan, Mark Ruffalo, Jennifer Jason Leigh, Kevin Bacon, Nick Damici, Sharrieff Pugh
Von Jane Campion habe ich nach ihrem grandiosen “Ein Engel an meiner Tafel” immer etwas Besonderes erwartet und bin eigentlich auch nicht enttäuscht worden. Daß sie aber nun einen Erotikpsychothriller mit Meg Ryan machen würde, hätte ich nun wirklich nicht geglaubt – Erotik? Psycho? Thriller? Mit Meg Ryan??? Das blonde Schnuckelschätzchen aus zahlreichen mehr oder minder seichten Liebeskomödien plötzlich als New Yorker Singlefrau, die von sexueller Sehnsucht und entsprechenden Fantasien geplagt wird und dann plötzlich in einen wie üblich blutigen Mordfall hereingezogen wird, indem sie sich möglicherweise in den Mörder verliebt. Das geht? Und ob das geht, es kommt eben nur auf die richtigen Zutaten an. Jane Campion löst sich hier total von ihrer gewohnt klassisch-strengen, brillant durchformulierten Bildgestaltung und lehnt sich an die zur Zeit gängigen, modernen Gestaltungsmittel an, soll heißen, die Kamera ruckelt, zappelt, wackelt durch die Straßen, Kneipen, Nachtclubs New Yorks, und egal was man über die sogenannter „Dogma“-Technik denken mag, sie sorgt, jedenfalls wenn man vernünftig mit ihr umgeht, immer für enorm viel Tempo, Intensität, Dichte, so auch hier. Dazu nimmt Campion das Porträt einer Frau, die stets eher verspannt, gehemmt, melancholisch wirkt und sich das Beispiel ihrer Halbschwester, die als Prostituierte arbeitet, und zumindest im Hinblick auf Männer weitaus abgeklärter und letztlich zufriedener ist, vor Augen führt, sich selbst aber nicht befreien kann. In ihren Studien über Slang kreist die Literaturdozentin Franny um die Themen Sex und Gewalt, auch in ihren eigenen Vorlieben scheint es da Vermischungen zu geben, und natürlich korrespondiert dies dann zu den finsteren Mordfällen, die über das Viertel hereinbrechen. Warum es immer gleich Serienkiller und ganze Waschmaschinen voll Blut und abgetrennter Körperteile sein müssen, ist mir auch nicht klar, aber das ist wohl eine ganz spezifische US-amerikanische Besonderheit und hängt sicherlich mit der dort gepflegten Kultur zusammen. Der Film bezieht seine Spannung und Faszination schließlich nicht aus der allgemein vertrauten Gewalt-Action-Sex-Mischung, sondern aus seiner beeindruckend intensiven Atmosphäre und daraus, daß sich hier endlich mal die Regie für die beteiligten Menschen interessiert, ihnen Raum zur Entfaltung gibt, sich auf ihr Leben, ihren Alltag einläßt. Campion nimmt sich betont viel Zeit, fügt zwar hier und da einen Spannungshöhepunkt ein, vergißt auch den unvermeidlichen Showdown der Heldin mit dem Killer nicht, doch im Grunde hat sie wieder einen Frauenfilm gemacht, nur eben kein edles Ausstattungsstück wie „Das Piano“ oder „Porträt einer Dame“, sondern einen zum Teil ziemlich drastischen, modernen Film aus dem Hier und Jetzt. Angenehm aufgefallen ist mir dabei, daß die Protagonisten diesmal nicht durch mordsmäßig schicke Apartments und Penthouses mit Blick auf die Skyline Manhattans wandeln, sondern Frannie sich in einem eher schmuddeligen, leicht heruntergekommenen und für New York sicherlich viel typischerem Milieu bewegt, dem ich mich persönlich immer viel näher fühle als der gestylten Yuppiewelt hoch zu Roß, und an der ich viel eher und lieber Anteil nehme.
Campion und die Kamera weichen Frannie nicht von der Seite, begleiten sie überall hin, fangen all ihre Stimmungen und Gemütszustände ein, ihre Einsamkeit, ihren Frust, ihre Sehnsucht, ihre Ängste und Zweifel. Ein ganz intimes Porträt, wieder bedingt durch die Nähe, Schnelligkeit und Detailgenauigkeit der Inszenierung und getragen von einer wirklich beeindruckenden Darstellung Meg Ryans, die mir nie unsympathisch war, die nur viel zu festgelegt schien auf das Rollenfach einer Art Doris Day für die Neunziger, frisch, forsch und clean (abgesehen von einem guten Kidnappingdrama von Taylor Hackford und einem unsäglichen Propagandastreifen über den Wüstenkrieg). Genau wie Campion entfernt auch sie sich hier sehr weit von ihrer bisherigen Arbeit, zeigt endlich Mut, zeigt etwas von sich, und zeigt vor allem, daß sie solchen Herausforderungen absolut gewachsen ist und auch als sogenannte „seriöse“ Schauspielerin voll überzeugen kann. Sie wird hier zwar unterstützt von anderen hervorragenden Darstellern, trägt aber den Film zum großen Teil und tut dies ausgezeichnet. Wäre schön, wenn man noch mehr von ihr in dieser Richtung sehen könnte, obwohl ja aufgrund ihres nun doch langsam vorrückenden Alters (das sie in diesem Film auch gar nicht verstecken muß) Rückfälle in alte Klischees auch kaum anzunehmen sind.
Mal sehen, in welche Richtung Jane Campion weitergeht, aber wie es scheint, darf man auch weiterhin von ihr ungewöhnliche, starke, eigenwillige Filme erhoffen, und noch schöner wäre es, wenn es von einem zum nächsten nicht immer so wahnsinnig lange dauern würde. (30.9.)