Ae fond kiss (Just a kiss) von Ken Loach. England, 2004. Atta Yaqub, Eva Birthistle, Shamshad Akhtar, Ghizala Avan, Shabana Bakhsh, Pasha Bocarie, Gerard Kelly, Ahmad Riaz

   Ken Loachs letzte beide Filme ließen mich schon halberlei befürchten, der Mann habe zu guter Letzt doch noch seinen scheinbar  unerschütterlichen Glauben an das Gute im Leben verloren, besonders „Sweet sixteen“ war ja doch reichlich deprimierend und desillusionierend. Aber dieses neue Werk rückt die Dinge doch wieder ein wenig zurück in die alte Perspektive, er zeigt zwar nach wie vor Menschen, die heftig für etwas und auch gegen etwas kämpfen müssen, aber läßt sie und uns am Schluß mit der deutlichen und berechtigten Hoffnung zurück, daß dieser Kampf nicht aussichtslos und umsonst geführt wurde.

  Eine Liebesgeschichte aus Glasgow: Casim lernt die Musiklehrerin seiner Schwester, Roisín kennen. Die beiden verknallen sich so richtig ineinander, verbringen ein paar Tage im sonnigen Spanien, und daheim werden sie dann alsbald auf den sogenannten Boden der Tatsache zurückgeholt: Casim ist Pakistani und entstammt einer sehr bewußt und traditionell lebenden Familie. Beziehungen zu Nicht-Muslimen sind ausgeschlossen, und die anstehenden Ehen werden sowieso nur von den Eltern arrangiert. Casim, der einzige Sohn seiner Eltern, schwankt völlig verunsichert zwischen der engen familiären und kulturellen Bindung und seiner Liebe zu Roisín, und folglich gibt es zwischen allen Beteiligten jede Menge Krach. Auch die katholische Irin Roisín, die an einer konfessionellen Schule unterrichtet, kriegt Ärger, als ihre Beziehung zu Casim ruchbar wird und der zuständige Pfarrer ihr die Unbedenklichkeitsbescheinigung verweigert, die sie braucht, um endlich die ersehnte volle Stelle zu bekommen. Und gerade, als es so aussieht, als wäre die kulturelle Bindung doch stärker und Casim würde dem Druck seiner gesamten Familie nachgeben, rafft er sich auf, zieht aus, macht sich entschlossen frei, bekennt sich zu Roisín, und es sieht so aus, als wäre die Liebe der beiden stark genug für all die Anfechtungen von außen.

   Auch wenn man vermuten darf, daß Loach und sein Autor Paul Laverty hier und da ein wenig überspitzt und polarisiert haben zugunsten ihrer angestrebten Aussage, haben sie das enorm komplexe Problem aufeinander prallender Kulturen und Religionen ziemlich klar, nüchtern und unmißverständlich umrissen. Eine allgemein und von allen akzeptierte und legitimierte Beziehung einer Christin (Katholiken zudem noch) und eines Moslem gibt es nicht und wird es auch in absehbarer Zeit, sogar im neuen Jahrtausend, nicht geben. Die Gräben sind unüberbrückbar, die Unterschiede in den Lebensauffassungen, den Moralvorstellungen, den Traditionen, die Schatten der Geschichte zu lang, als daß irgend jemand hier die Größe und den Mut aufbrächte, all dies zu überwinden und über diesen Schatten zu springen. Casims Vater flüchtete vor Bürgerkrieg und tausendfachen Tod daheim in ein Land, in dem er auch nach vierzig Jahren noch verachtet, bespuckt, diskriminiert wird und in dem folglich die kulturelle Identität, konserviert in all den tradierten Lebensformen, das einzige ist, woran er sich halten kann. Es gehört zu Loachs humanistischer Grundüberzeugung, daß er diesen Mann, obwohl er seinem Sohn eine Heirat aufzwingen und ihn von seinem eigentlichen Glück fernhalten möchte, niemals verurteilt, sondern ihn im Gegenteil mit Verständnis und Sympathie schildert, wie überhaupt alle Beteiligten hier. Ein jeder ist geprägt von seinem oder ihrem Hintergrund, niemand kann aus seiner Haut, und Loach findet eine sehr geschickte Balance zwischen Casims endlosem Zaudern und Zögern und Roisíns mitunter zu selbstsüchtigem, forderndem Wesen, das teilweise wenig sensibel für seine schwierige Situation zu sein scheint. Und für alle, die der Ansicht sind, nur der Muslim leide unter einer restriktiven, repressiven Religion, hat Loach ein paar besonders drastische, böse Szenen parat, in den er unmißverständlich deutlich macht, was er vom modernen Katholizismus hält. Da dürfen plötzlich keine Lieder des unliebsamen schottischen Nationaldichters Robert Burns vorgetragen werden, und eine Frau, die eine uneheliche Beziehung und dann auch noch zu einem Farbigen unterhält, ist für die Aufrechterhaltung der christlichen Moral in der Kindererziehung nicht mehr geeignet. Die religiösen Institutionen also haben sich schon mal gegen die Liebe der beiden verschworen, Familien und Freunde reagieren ebenfalls wenig verständnisvoll, und die beiden selbst haben auch so ihre Schwierigkeiten miteinander, sind dem Druck von außen kaum gewachsen. Natürlich plädiert Loach hier sehr nachdrücklich für Toleranz und Offenheit und gegen jegliche Art von Diskriminierung, aber er zeigt auch, wie schwer es ist, in solchen Konflikten wirklich einen sicheren, klaren Standpunkt einzunehmen, weil jeder der Beteiligten auf sein/ihre Art Recht zu haben scheint und auf jeden Fall das Recht zu einer Meinungsäußerung. Entsprechend sind auch unsere Emotionen durchaus nicht so eindeutig verteilt, wie es die Story vielleicht vorgeben könnte. Natürlich stehen wir grundsätzlich auf Seiten des Liebespaares, aber Loachs wie gewohnt gründliche und sehr liebevolle Darstellung von Mensch und Milieu sorgt dafür, daß wir uns nicht gleich einseitig identifizieren, sondern auch beispielsweise Casims Vater mit seinen bitteren Erfahrungen respektieren und auch mögen. Dazu trägt auch die einmal mehr sehr gelungene Mischung aus leichten, komischen und ernsten, dramatischen Szenen bei. Loach läßt wie so häufig beides nebeneinander existieren, weist uns darauf hin, daß es auch in schlimmen Situationen noch Raum geben kann für Witziges, ist aber andererseits nicht so naiv, sich über irgend etwas Illusionen zu machen, und so würde ich auch hier nicht von einem richtigen Happy End sprechen, eher von einem Ende, das zumindest Raum läßt für Zuversicht und Optimismus.

 

   All dies wird wie gewohnt wunderbar gespielt von kaum bekannten, aber tollen Schauspielern, und ist wunderbar in Szene gesetzt worden, nichts wirkt hier aufgesetzt, gekünstelt, über Gebühr dramatisiert . Natürlich ist hier ein Regisseur mit viel Herz bei der Sache, aber dieses Herz ist, und das finde ich bei Loach immer wieder ganz entscheidend, sehr groß, hat Raum für viele verschiedene Menschen und Meinungen (obwohl es durchaus Filme gibt, in denen Ken Loach sehr viel parteiischer argumentiert). Hier manifestiert sich Loachs Humanismus vielleicht am besten, was aber nicht heißen soll, daß dieser Film besser ist als andere von ihm. Er hat eigentlich, wenn ich das so bedenke, bislang nur gute oder sehr gute Filme gedreht, und von mir aus kann das ewig so weitergehen, dann schreibe ich jedesmal gern wieder dasselbe, muß ich auch, weil dieser Mann sich einfach vierzig Jahre lang künstlerisch wie thematisch treu geblieben ist. (21.11.)