Ken Park (#) von Larry Clark und Ed Lachman. USA, 2002. Tiffany Grimes, Stephen Jasso, James Bullard, Mike Apaletegui, Adam Chubbuck, Wade Williams, Amanda Plummer, James Ransome

   Vor langen Jahren schon präsentierte uns Larry Clark in “Kids” einen ganz anderen Blick auf die Jugend Amerikas: Weit entfernt vom weichen Sahneklecks der gängigen Teenieopern, schroff und hart und, wie man so gern sagt, verstörend und unbequem in seiner Direktheit. Kids, die aus Leere und Langeweile nichts anderes mit sich anzufangen wissen als Drogen zu einzuschmeißen und sich gegenseitig rücksichtslos zu mißbrauchen. Sex, Drogen und Gewalt regieren das Universum, auch wenn man erst fünfzehn oder sechzehn ist, denn die Alten leben es vor, das kulturelle und gesellschaftliche Klima stellt kaum lockende Alternativen zur Verfügung, es gibt keine Orientierungswerte, niemanden, der einen Ausweg aus diesem trostlosen Desaster anbieten kann.

   „Ken Park“ konfrontiert uns mit weitgehend ähnlichen Zuständen, nur das diesmal die Gewalt, die notwendigerweise im Zentrum der Betrachtungen steht, in vertikalen statt horizontalen Linien verläuft. Soll heißen, Mißbrauch, Prügel, Drangsalierung oder Demütigung gehen nicht von den Kids aus, sondern von den Alten. Ein sehr entscheidender Unterschied, der bei aller Kraßheit den Tonfall des Films prägt.

   Ken Park ist ein Skaterboy mit einer schwangeren Freundin, der sich gleich in der Einleitung draußen auf der Bahn die Birne wegschießt und diesen Vorgang für die Nachwelt und zur Freude der Medienpädagogen auch noch per Video festhält. Von Ken Park erfahren wir im weiteren nur wenig, dafür aber von seinen Mitmenschen und Freunden, und nachher sieht man ein, daß dieser Typ etwas getan hat, was eigentlich auch jeder andere mit der gleichen Berechtigung hätte tun können. Zum Beispiel der, der von seinem Vater ständig gegängelt, beschimpft, verdroschen wird, weil er angeblich kein richtiger Kerl ist, kein Bier säuft und auch noch ständig mit diesen blöden Skateboards rumkurvt. Mama ist schwanger und säuft auch und kann nicht helfen. Also hängt man mit den Kumpels ab, zieht sich irgendwelches Zeug rein und läßt die Zeit vergehen. Eines Nachts rutscht Paps, volltrunken, zu ihm ins Bett und will ihn vergewaltigen und jammert dann noch, daß niemand ihn lieb hat. Er packt seine Klamotten, aber wo sollte er schon hin. Ein anderer lebt bei seinen Großeltern und steigert sich gründlich in immer schlimmere sado-masochistische Fantasien. Er beschimpft die Alten, stranguliert sich fast beim Onanieren und rastet schließlich total aus und tötet die Großeltern. Ein dritter hat eine Affäre mit der Mutter seiner Freundin, eine typisch amerikanische, superfitte, silikongespritzte Blondine, die ihn mit freundlicher Herablassung behandelt und ihn als netten Zeitvertreib für die öden Vormittage benutzt während die kleine Tochter Videos glotzt. Und schließlich jenes Mädchen, deren Mutter bei der Geburt starb und deren Vater sich seitdem im Zustand eines religiösen Wahns befindet. Er will seien Tochter rein und sauber und ganz für sich haben, zumal sie der Mama wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Als dann ein anderer Junge auftaucht und er die beiden beim Sex erwischt, dreht er total durch, schlägt den Knaben fast tot und hält die Tochter fortan wie in einem Käfig, was schließlich in einer grotesken Heiratszeremonie mündet.

   Eine gründliche, brutale Analyse des Daseins in einer archetypischen kalifornischen Kleinstadt, so wie es Tausende in ihrer Art gibt. Alles ist hier Kult: Der Körper, der Sex, die Fitneß, die Religion, der Machismo, die Langeweile. Die Alten leben in der einen Welt, die jungen in der anderen und zwischen den beiden Welten gibt es keine Verständigung und kein Verständnis, nur Übergriffe und Mißhandlungen. Larry Clark ist nicht an einer differenzierten, soziologisch ausbalancierten Untersuchung interessiert, er polarisiert und polemisiert, aber er beutet sein Thema auch nicht für eine möglichst spektakuläre Darstellung aus, schafft Betroffenheit und Mitgefühl nicht durch bloße Schocks, sondern führt uns diese Welt mit maximaler Intensität vor Augen und schlägt sich, viel deutlicher als in seinem früheren Film, auf die Seite der Opfer, selbst wenn diese gelegentlich auch zu Tätern werden. Allein, viel Hoffnung macht er ihnen dabei nicht, es scheint kaum Perspektiven zu geben, dem Schicksal der Eltern zu entrinnen, das heißt nicht als kaputter Säufer zu enden oder als biederer, betrogener Vorstadtpappi respektive biedere, konsumgeile Vorstadtmami. Bis es soweit ist, heißt die Devise also soviel Fun wie möglich, soviel Kicks wie’s gerade geht und dazu ist, daß haben die Alten schon vorexerziert, jedes Mittel recht. In einer letzten Vision zeigt der Film zwei Jungs und das bewußte Mädel bei innigem, ausführlichem Sex, das ultimative Aufbegehren gegen all die Mißhandlungen zuvor, zärtlich, genießerisch, selbstbewußt. Erstmals sind die Kids total entspannt, haben sich sogar ein wenig zu sagen und denken über ihr gegenwärtiges Leben nach. Manche mögen dies für puren Voyeurismus halten, ich fand’s total schön - was könnte gesünder und heilsamer sein als sich gegenseitig Lust und Freude zu bereiten, wenn es drumherum davon so wenig gibt? Zumal die drei auch nicht irgendwie verkrampft, verzweifelt oder wütend wirken sondern ganz locker und relaxt. Abschließend kehrt der Film dann aber doch noch mal zu Ken Park zurück, nur um uns nicht glauben zu machen, daß ein fröhlicher Dreier ernsthaft als Ausweg aus der Misere gelten kann.

   Wie gesagt, ein Film, der sicherlich die Gemüter spaltet, den manche für reine Spekulation und Provokation halten dürften und der nicht gerade der Inbegriff eines unbeschwerten und leichtgängigen Konsumvergnügens ist. Wer in Kino verbleibt, wird mit recht drastischen Bildern konfrontiert, die wohl niemanden unberührt lassen dürften. Die jungen Schauspieler sind toll, vor allem weil es wohl nicht einfach ist, so was zu drehen und weil sie zweifellos sehr viel von sich selbst preisgeben, und Clark inszeniert trotz allem sehr einfühlsam und bleibt im US-Kino weiterhin eine sehr beachtenswerte Ausnahme. (21.9.)