Salmer fra kjøkkenet (Kitchen Stories) von Bent Hamer. Norwegen/Schweden, 2003. Joachim Calmeyer, Tomas Norström, Bjørn Floberg, Reine Brynolfsson, Sverre Anker Ousdal
Auf solche Ideen können auch nur die Skandinavier kommen: Während die ganze übrige Welt im Krieg liegt, führen die Schweden Küchenstudien durch, das heißt, die beobachten und erfassen die Gewohnheiten und vor allem die Wege der Hausfrauen in ihren Küchen. Am Ende der Untersuchungen liegen Diagramme vor, die ungefähr wie Schnittmuster aussehen und dazu dienen sollen, durch gezieltes Umgruppieren der Möbel und Hilfsmittel eine Rationalisierung zu erreichen, die weiten Weg der Frauen zu verkürzen. Einige Zeit später dann wird das Projekt dahingehend ausgeweitet, daß man sich nun auch allein lebende Männer und deren Verhalten in Küchen vornehmen möchte, und so kommt es, daß eines schönen Tages ein ganzer Treck Volvos mit kleinen Wohnwagen im Schlepp über die Grenze nach Norwegen vorstößt, um in einem kleinen Dorf das Lager aufzuschlagen und dort Feldstudien zu betreiben. Jeder Prüfer bekommt einen Haushalt zugewiesen, muß draußen im Wohnwagen schlafen und es gibt strenge Regeln bezüglich Redeverbot, damit nur ja die Wissenschaftlichkeit des Unterfangens nicht in Frage gestellt wird. Dann setzt er sich wie ein Jäger auf eine Art Hochsitz in eine Ecke der Küche, schnappt sich seinen Block und hält akribisch jede Regung und jede Verrichtung schriftlich und als Skizze fest. Als Entschädigung für die Mühe bekommen die Norweger übrigens je ein Dalahäst aus Holz – Touristenfolklore von der Stange.
Bent Hamer widmet sich einem dieser Paare, dem Schweden Folke und seinem norwegischen Forschungsobjekt, einem ruhigen, knorrigen Bauern namens Isak. Schön langsam und beharrlich wird nun geschildert, wie Isaks anfängliche Abwehr nachläßt, wie er den Schweden listig austrickst, und wie sich die beiden Männer schließlich doch anfreunden, und zwar so sehr, daß Folke kündigen und das Weihnachtsfest bei Isak verbringen möchte, denn sie beide sind allein, haben keine Familie, und Isak wird seinen besten Freund, sein Pferd, wohl bald verlieren, da das Tier schwer krank ist. Der Nachbar ist so mißtrauisch und auch eifersüchtig auf diese unerwartete und vom Projektleiter strikt sanktionierte Annäherung, daß er so weit geht, den schlafenden Folke nachts mitsamt dem Wohnwagen auf eine Bahnstrecke zu ziehen, doch Isak spannt sein Pferd an und schleppt den Schweden wieder zu sich nach Hause. Am Schluß, gerade als Folke seine Mission erledigt hat und zurück nach Norwegen gekehrt ist, stirbt Isak, doch möglicherweise nimmt nun der Nachbar seinen Platz ein, sodaß Folke weiterhin in der Küche für zwei decken kann.
Anders als in Hamers „Eggs“ von vor ein paar Jahren, der irgendwie nicht so recht zu mir durchgedrungen ist, hat mir sein neuer Film gleich überaus gut gefallen. Denn er ist nicht allein skurril um der Skurrilität wegen, so wie ich es bei „Eggs“ empfunden habe, er erzählt eine sehr warmherzige, fast zärtliche Freundschaftsgeschichte zwischen Männern (weswegen auch nicht ganz so viele Worte gemacht werden!), er berichtet von einer wissenschaftlichen Absurdität erster Güte, denn diese Forschungen hat es in der Tat gegeben, und er wirft zu guter Letzt einen sanft spöttischen, satirischen Blick auf die norwegisch-schwedischen Beziehungen die, wie man weiß, seit jeher durch kleinere und größere beiderseitige Hakeleien gekennzeichnet sind. Die Schweden sind genervt, weil sie hinter der Grenze plötzlich rechts fahren müssen (der Film spielt in den Fünfzigern und die Schweden hatten noch Linksverkehr), der Leiter behauptet sogar, er müsse gleich kotzen, weil sein gesamtes Eingeweide sich automatisch nach links ziehe. Die Norweger wiederum beobachten die etwas bornierten schwedischen Besserwisser mit Mißtrauen und haben einige höchst kritische und schmerzhafte Anmerkungen zur Rolle der Schweden während der Nazizeit zu machen. Hier wird’s also schon ein wenig bissiger, aber nie wirklich böse. Der Film ist friedlich, geht sehr liebevoll mit seinen sperrigen Personen um, übt sich in gekonnter und ebenfalls sehr skandinavischer Wortkargheit, und wartet mit einigen sehr köstlichen Gags auf, zum Beispiel auch dem Radioempfänger in Isaks Mund, den gegenseitigen anfänglichen Manövern der beiden Männer oder dem grotesken, alles überwachenden Eifer des Leiters. Alles in allem also mal wieder ein sehr schöner Film aus dem Norden, der bei aller Merkwürdigkeit und Verschrobenheit den Kontakt zum Boden und zu den Leuten darauf nicht verliert. (10.3.)