Land of plenty (#) von Wim Wenders. USA/BRD, 2004. Michelle Williams, John Diehl, Shaun Taub, Wendell Pierce, Richard Edson
Natürlich ist über dieses Land, das sich so gern Gottes eigenes Land nennt, schon viel gesagt worden. Patriotisches, Idiotisches, Kritisches und vieles mehr. Eine Zeitlang, und das ist leider schon sehr lange her, war es en vogue, Amerika mit kritischer, die berühmten Grundwerte hinterfragender Distanz zu betrachten, mit einem neuen, einem jungen Blick, der sich eben nicht für die glitzernde, dekadente Fassade interessiert, sondern für die Seitenstraße und Hinterhöfe, für die Verlierer, die Gescheiterten, die Erfolglosen. Die meisten der Regisseure, die so anfingen, wurden früher oder später ihrerseits vom Big Business eingefangen und verschluckt, bis sie nicht mehr gefährlich waren und nunmehr brave, kommerziell vorzeigbare Filmchen machten statt auf jung und wild zu machen. Dann, ungefähr zwei Jahrzehnte später, kamen noch einmal kurzzeitig sogenannte Road Movies oder Independent Movies auf, kleine, unabhängig produzierte Sachen, die sich erneut um einen alternativen Blick auf das Land bemühten, doch auch sie wurden seltener und seltener, und mittlerweile sind wir alle wieder glücklich in den Fängen der gigantischen Popcorn- und Schmalzfabrik. Über Amerika wird dort nichts gesagt und wenn, dann nur etwas, das auch dem Präsidenten gefallen würde. Staatstragendes, systemkonformes Kino im wahrsten Sinne des Wortes und natürlich ein echtes Brechmittel.
Gottseidank hat Wim Wenders sowas nicht nötig und hat es außerdem geschafft, sich bei all dem wirren, öden Geschwurbel seiner letzten hundert Filme (na ja...) einen halbwegs klaren (wenn man bei ihm davon reden kann) Blick auf den Stand der Dinge zu bewahren. Ich gebe zu, daß ich nicht mehr viel von ihm erwartet habe, denn wenn ich mal ehrlich bin, finde ich, daß er nach seinem Himmel über Berlin vor nun schon siebzehn Jahren mit Ausnahme seiner netten aber doch eher belanglosen Musikdokus nur noch uninteressantes Mittelmaß, Blödsinn oder riesengroßen Blödsinn hervorgebracht hat, jedenfalls nichts, was mir noch besonderen Anlaß zu Hoffnungen hätte geben können. Aber er ist doch noch da und er hat mich angenehm überrascht mit einem Film, der sein am wenigsten aufgeblasener, verquaster und pathetischer seit dem erwähnten Berlinfilm ist, sondern im Kern eine ganz einfache Geschichte: Ein junges Mädchen kommt aus Tel Aviv zurück nach LA, um dort auf ihrem Onkel zu treffen, der seiner Schwester, also ihrer Mutter, versprochen hat, sich um sie zu kümmern. Onkel ist aber leider kein netter Durchschnittsamerikaner, sondern ein leicht derangierter, traumatisierter, paranoider Vietnamveteran, der nach dem bewußten 11.9. sein Leben damit zubringt, vermeintliche Verschwörer, Attentäter, Terroristen aufzuspüren und zu verfolgen. Die beiden verbringen ein bißchen Zeit zusammen in den öden Outskirts, zwischen Trailer Parks, leeren Highways und sonstigen urbanen Wüsten, bis er schließlich einsieht, wie sehr er sich verrannt und getäuscht hat und sie ihn überreden kann, quer durch die Staaten nach New York zum Ground Zero zu fahren, um dort die Toten zu betrauern.
Die beiden begeben sich also auf die Reise, Lennie Cohen stimmt heiser „Land of plenty“ an, und als die beiden schließlich nach ein paar Postkartenimpressionen aus den USA in New York am bewußten Ort stehen und sinnend in die Ferne blicken, kriegt der Film doch noch eine irritierend pathetische, unklare Note, was ganz überflüssig ist, denn bis dahin ist er doch bemerkenswert klar und sehr wirkungsvoll – eine bittere, ziemlich ernüchternde Tragikomödie über einen Mann, der an völligem Realitätsverlust leidet und einem Mädchen, das ganz von außen auf das Land blickt und eine entsprechend andere Perspektive einbringt. Lana erzählt von jubelnden und feiernden Menschen auf den Straßen Tel Avivs am 11.9.01, und Onkel Paul muß zu seiner grenzenlosen Konsternierung erfahren, daß es tatsächlich Länder gibt, in denen die Vereinigten Staaten von Amerika gehaßt werden, etwas, das er sich nie hätte träumen lassen. Kurze Zeit später bröselt sein Weltbild ein zweites Mal, als er erkennt, daß die angeblichen arabischen Terroristen nichts weiter sind als elend arme Immigranten, die genau wie er nur versuchen, sich irgendwie durchzuschlagen, weil ihr Leben ähnlich wie seins nichts mit amerikanischem Traum zu tun hat, sondern mit einer Wirklichkeit, die zu unglamourös ist, um darüber zu berichten. Wenders tut es aber doch, er widmet sich hier ausdrücklich und mit dezenter Anteilnahme den Außenseitern, die neben glänzenden Superstars und strahlenden Siegern verschwinden aus dem Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung. Er widmet sich ebenfalls einer allgemeinen Grundstimmung im Lande, einer bedenkenlos selbstgerechten, ins Paranoide abgleitenden Inszenierung von Empörung und Gerechtigkeit, die darin gipfelt, daß sich die USA einmal mehr als Beschützer der gesamten freien westlichen Welt aufspielen und in dieser Rolle nur noch Schwarz und Weiß brauchen, nichts mehr dazwischen. Erstaunlicherweise macht Wenders um all das nur sehr wenig Worte, kommt ohne seine sonst so auffälligen künstlerischen Ambitionen aus, er findet einfache aber sehr wirkungsvolle Bilder, nur einige wenige aber prägnante Situationen, um sein Anliegen zu verdeutlichen. Vor allem mit Paul ist ihm eine beeindruckende und auch besonders gut gespielte Figur gelungen, die vieles von dem verkörpert, was Wenders an den USA von heute stört, die aber auf ihre Art auch nur Opfer einer früheren Gewalt und Ungerechtigkeit ist. Amerika wurde immer geprägt von Gewalterfahrungen und auch von unverarbeiteten Erfahrungen, erlitten von überforderten und letztlich geopferten Kerlen, die nicht als Retter der Nation eine glänzende Zukunft erwarten durften, sondern die als Verlierer und Versager, drogenabhängig, alkoholisiert, von Alpträumen paralysiert irgendwo am Rande der Gesellschaft vegetierten und am liebsten total aus dem öffentlichen Bewußtsein ausgeblendet wurden und noch immer werden. Mit Lana wird ihm ein reinigender, erlösender Engel an die Seite gestellt, eher schon eine typische Wenders-Figur, weshalb ich zu ihr wesentlich weniger Zugang hatte als zu Paul, aber ich kann ihre Funktion als Gegenpol und relativierendes Element durchaus einsehen und akzeptieren. Allein mit dem eigenartig vagen, weihevollen Ausklang hatte ich so meine Schwierigkeiten, nicht nur, weil mir sein Unterton nicht gefällt (Wenders ist ja bei allen Zweifeln doch auch vom Land of Plenty fasziniert) sondern auch, weil es gar nicht zum Rest paßt und einfach hätte weggelassen werden können. So schleicht sich ganz am Ende noch ein wenig Unzufriedenheit ein, sonst aber will ich mal auf das Positive schauen und für mich feststellen, daß dies der erste Wendersfilm seit Menschengedenken ist, der mich wirklich interessiert und der etwas Nachvollziehbares und Brauchbares zu sagen hat. (9.10.)