Monster (#) von Patty Jenkins. USA, 2003. Charlize Theron, Christina Ricci, Bruce Dern, Annie Corley, Stuart Wilson
Eine wahre Geschichte: Aileen aus Florida tötet Anfang der Neunziger eine Handvoll Männer und wird dafür hingerichtet. Hinter diesen dürren Fakten steckt natürlich mehr: Ein Mädchen aus einfachem Hause, frühzeitig mißbraucht, vernachlässigt, mißhandelt, das sich hineinträumt in eine freundlichem, helle Welt, in der sie strahlend und erfolgreich ist. Sie wird älter, die Umstände bessern sich nicht, sie geht auf den Stich, lebt von Blow Jobs in Autos, lebt praktisch auf der Straße, Freiwild für miese Polizisten und brutale Freier. Einer bedroht sie mit dem Leben und in Notwehr erschießt sie ihn. Zugleich lernt sie die junge Selby kennen, ein schüchternes, lesbisches Mädchen ohne Richtung und Plan im Leben. Aileen ermutigt Selby zum Ausbruch aus ihrer beengten, kleinbürgerlichen, intoleranten Umgebung, die beiden ziehen zusammen los, leben in Motels und schließlich einem billigen Eigenheim, doch Aileens Versuche, in ein bürgerliches Arbeitsleben einzusteigen, scheitern an gesellschaftlichen Vorurteilen und ihrer hoffnungslosen Naivität. Schließlich geht sie wieder anschaffen, begeht noch ein paar Morde, die beiden Frauen trennen sich, und schließlich sagt Selby vor Gericht gegen Aileen aus. Der Staat Florida, noch immer der größte Massenmörder in der Gegend, bestraft die Hure mit einer Giftspritze. Wer also ist hier das Monster, darf man fragen.
Eine wahre Geschichte also und zugleich eine ziemlich erschütternde. Selten hat man so viel soziales Elend so stark verdichtet und emotional unmittelbar in einem US-Film vermittelt bekommen, und bei solchen Gelegenheiten fällt einem überhaupt erstmal auf, wie wenig Sinn für soziale Strukturen die US-Filme im allgemeinen haben, von den wenigen rühmlichen Ausnahmen mal abgesehen. „Boys don’t cry“ von vor ein paar Jahren kam mir während des Hinschauens schon in den Sinn. Auch eine Geschichte über eine Außenseiterfrau, die gewaltsam endet, nur verläuft die Gewalt in Aileens Fall andersherum, zuletzt zumindest. Jahrelang, so erzählt sie jedenfalls, hat sie alle nur erdenkliche Formen männlicher Gewalt ertragen müssen (die Männerwelt ist sowieso das übelste Monster hier), hat sich davor in ihre Traumwelt geflüchtet, hat sich in den Suff geflüchtet, hat sich in betont männlich-burschikoses Gehabe geflüchtet, und erst ihre Begegnung mit Selby bricht diese Fassade auf und läßt erkennen, wonach sie sich eigentlich sehnt, nämlich nach Liebe und Geborgenheit wie jeder Mensch. Leider verhindert ihr Hang zum Realitätsverlust immer wieder, daß sich die beiden eine wirkliche Perspektive aufbauen können. Aileen bewirbt sich auf alle möglichen Jobs, für die sie absurd ungeeignet ist und empfindet die Ablehnung als Kränkung, empfindet (zum größten Teil sicherlich zurecht) die Haltung der braven Gesellschaft ihr gegenüber generell als kränkend und erniedrigend und sucht entsprechend die Gesellschaft von Freaks und Außenseitern so wie sie. Ihre Bemühungen, im reinen, bürgerlichen Amerika Fuß zu fassen, sind, für jedermann sichtbar, von vornherein zum Scheitern verurteilt, und dies verleiht ihr durchaus eine verzweifelte, tragische Dimension. Auch in ihrer Liebe zu Selby liegt viel Verzweiflung und Tragik, denn als Zuschauer weiß man sehr wohl, daß das junge Mädchen früher oder später einsehen muß, daß sie an der Seite Aileens kaum einen ihrer Träume wird verwirklichen können und daß der Spaß bald ein Ende haben wird. Eine Zeitlang klammern sich die beiden aneinander, beide verunsichert, in ihrer Position im Leben nicht gefestigt, ohne Rückhalt, Bestätigung, Akzeptanz, die grobschlächtige Hure und die fragile Lesbe, doch als das Morden losgeht und die ersten Fahndungsfotos im TV auftauchen, beginnt Selby an ihre eigene Zukunft zu denken, beginnen ihre Gefühle zu Aileen auf bröckeln. Ihre Aussage vor Gericht setzt der ganzen Tragödie dann noch eine besonders bittere, grausame Note auf.
Charlize Theron legt sich in ihrer spektakulären Rolle enorm ins Zeug und zeigt eine außerordentlich intensive, eindrucksvolle Darstellung, die von Christina Ricci ganz ebenbürtig erwidert wird. Aileens Biographie spiegelt sich in ihrer aktuellen Lebenssituation, so wie wir sie mit erleben, einige kurze Berichte und Andeutungen zwischendurch vervollständigen das niederschmetternde Bild einer vernichteten Kindheit und einer Sozialisation, die eigentlich nur ins Abseits führen kann. Bis dahin ist der Film sehr klar und empathisch auf Aileens Seite, doch er zieht eine deutliche Grenze, und dies ist für meinen Geschmack seine eigentlich Stärke. Der erste Mord ist im Grunde noch kein Mord, sondern Notwehr, das ist ziemlich offensichtlich. Doch nun wird ein fataler Mechanismus losgetreten, dessen Ursache wir nicht ganz klar erkennen können. Vieles deutet darauf hin, daß sich Aileens entschlossen hat, an Männern allgemein Rache für ihr schlimmes Leben zu verüben. Andererseits läßt sie auch einen laufen, der sich sehr unbeholfen und gar nicht brutal und demütigend verhält. Sie tötet vielleicht auch nur, um an Geld zu kommen und sich und Selby eine Zukunft zu sichern in dem Versuch, diese eine Chance, die sie bekommen hat, zu ergreifen. Ganz sicher kann man nicht darüber urteilen, jedenfalls geht Jenkins in diesen Momenten deutlich auf Distanz zu Aileen und sie bringt auch Selby stärker ins Spiel, die Aileen beschwört, mit der Gewalt aufzuhören. Als Zuschauer spürte ich diesen Umschwung auch sehr deutlich: Mit der fürchterlich mißhandelten Frau hatte ich großes Mitleid, mit der wüsten Mörderin nicht mehr. Dieser Zwiespalt bleibt unauflösbar, und Jenkins versucht sich auch nicht in diese Richtung, Aileen ist Opfer und Täter zugleich, und angesichts der großen Emotionalität vieler Szenen geht das teilweise ganz schön weit. Die Konzentration auf die Beziehung der beiden Frauen läßt andere Themen, die sich hier sehr wohl angeboten hätten (z.B. Todesstrafe etc.), außen vor, was in diesem Rahmen ganz vernünftig ist, denn sonst wäre der Film hoffnungslos überfrachtet worden. Es ist dies mithin kein ganz einfach zu konsumierendes Produkt, sicherlich aber ein eindrucksvolles und eines, wie es uns die Amis nur alle paar Jahre mal kredenzen. (4.5.)