Reconstruction (#) von Christopher Boe. Dänemark, 2003. Nikolai Lie-Kaas, Maria Bonnevie, Krister Henriksson

   Alles nur Film, heißt es da am Anfang und auch am Schluß, alles nur konstruiert, und dennoch tut es weh. Wir stellen uns einen Mann auf einer Straße vor, er geht in ein Café, dort sieht er eine schöne Frau und schlägt ihr vor, nach Rom mit ihm zu kommen. Dann noch mal auf Anfang: Der Mann Alex mit seiner Freundin Sophie in der U-Bahn, wo er die schöne Frau sieht und ihr folgen muß. Sie lernen sich kennen, sie heißt Aimée und ist die Frau eines erfolgreichen Schriftstellers. Aber sie langweilt sich allein im Hotel, also wird daraus ein Abenteuer, das der Gatte schließlich entdeckt. Und plötzlich verändert sich Alex’ Welt ganz unerklärlich: Seine Wohnungstür ist weg, seine Nachbarin erkennt ihn nicht mehr, auch nicht der beste Freund, nicht einmal Sophie und der eigene Vater. Aimée scheint der einzige Halt für ihn zu sein, und auch ihre Liebe ist ungewiß, er muß auf sie vertrauen. Doch er vertraut nicht, und am Schluß steht er ganz allein da, nachdem auch sie ihn verleugnet.

  Alles nur Film, alles nur Fiktion, und alles vor allem eine kaum durchdringbare Verwirrung verschiedener Wahrnehmungs-, Erzähl- und Wahrheitsebenen. Was ist wirkliche Handlung, was ist vielleicht geträumt, was entspringt am Ende nur der rachsüchtigen Fantasie des betrogenen Schriftstellers, der die ganze Geschichte als eine Versuchsanordnung begreift, die beteiligten Personen nach seinem Belieben und seinem Sinn für Dramatik hin und herschiebt, um schließlich mit sadistischer Befriedigung alle Träume und Hoffnungen scheitern zu lassen. Aimée und Sophie werden von der gleichen Schauspielerin dargestellt, die eine betont mondän, fast maskenhaft geschminkt und von einer leicht geheimnisvollen Aura umgeben, die andere natürlich, direkt, ganz von dieser Welt. Alex begegnet  der nunmehr fremden Sophie kurz vor der letzten, alles entscheidenden Verabredung mit Aimée, und läßt sich fast wieder von ihr verführen, folgt aber mit letzter Kraft seinen Gefühlen und verpaßt Aimée um wenige Augenblicke, nachdem zuvor jeder Versuch, mit ihr Kontakt aufzunehmen, auf alptraumhaft absurde Weise gescheitert ist. Hier nimmt der Film plötzlich große Spannung auf und entwickelt eher die Logik eines Traums, aus dem sich Alex nicht mehr befreien kann. Wie er sind auch wir den rätselhaften, manchmal auch bedrohlichen Ereignissen ohne Hilfe oder Erklärung ausgesetzt, wie er hoffen wir auf Klarheit und darauf, daß alles so wird wie zuvor, daß die aus den Fugen geratene Welt wieder in Ordnung kommt.

   Es gibt nicht viele Filme dieser Sorte (in den letzten Jahren ein wenig in Mode gekommen), die mich wirklich fesseln können, aber der hier kann es, denn er ist vor allem künstlerisch großartig gelungen, weil er es wirklich auf fast unheimliche Weise schafft, genau wie ein in das Medium Film umgesetztes Buch zu wirken. In magisch intensiven, hypnotischen Bildern werden Stimmungen und Emotionen dargestellt, die man sonst nur noch mit Worten schildern kann, wird das herkömmliche Gefüge von Raum und Zeit immer wieder aufgehoben, scheinen die Hauptpersonen fast zu schweben, scheinen ihre Blicke, ihre Gesten endlos zu dauern. Die sparsam ausgemalten Settings (Hotel, Café, Restaurant, ein paar Straßen, U-Bahn) wirken durch die fahlen, körnigen, kalten Farben ebenso irreal wie der Fortgang der Geschichte, alles scheint sich in einer Zwischenwelt abzuspielen, oder aber zwischen den Welten zu springen. Dazu kommen grandiose Schauspieler, vor allem Maria Bonnevie ist in ihrer Doppelrolle atemberaubend und prägt den Film allein schon mit ihrer Ausstrahlung.

 

   Hier geht es ganz klar nicht darum, eindeutige Antworten auf alle Fragen zu bekommen, jedes ungelöste Rätsel bis ins Detail zu beleuchten und am Ende mit einer schlüssigen, runden Interpretation des Ganzen dazustehen, denn dies dürfte auf gewiefteren Experten schwer fallen, und darin liegt eben nicht der Reiz dieses Films. Der liegt in seiner enorm intensiven Atmosphäre, seiner faszinierenden Sinnlichkeit, seiner Emotionalität. Man überläßt sich gern dem Fluß, dem Rausch der Bilder, akzeptiert auch gern, daß man mit einer Menge Klärungsbedarf aus dem Kino kommen wird, erlebt aber dennoch tolle anderthalb Stunden wie schon lang nicht mehr aus dem höheren Norden, ganz einfach weil der Film so brillant gestaltet ist. (7.7.)