De fem benspænd (The five obstructions) von Lars von Trier und Jørgen Leth. Dänemark, 2003.
Ein recht merkwürdiges Paar, diese beiden Dänen: Der ältere, ein äußerlich unscheinbarer, gemütlich und gelassen wirkender Jørgen Leth, der meist auf Haiti lebt und dort den lieben Gott einen guten Mann sein läßt, und der jüngere, ein bissiger, diabolisch grinsender Lars von Trier, der sich rastlos daheim in seinen Zentropa Studios herumtreibt und eine fiese Idee nach der anderen ausbrütet. Seine neueste im Jahre 2000 ist die: Leth soll einen alten Film von ihm, „Der perfekte Mensch“ noch einmal in fünf verschiedenen Versionen drehen, wobei jede Fassung unter verschiedenen erschwerten Bedingungen entstehen soll. Einmal darf es pro Einstellung nur zwölf Bilder geben, ein anderes Mal darf es kein Set geben, der dritte Film soll am schlimmstmöglichen Ort entstehen, der vierte soll allgemein möglichst schlecht sein und der fünfte soll gar als Zeichentrickfilm entstehen, was Leth rein besonderes Maß an Selbstverleugnung abverlangt, denn er haßt genau wie von Trier Zeichentrick. Etwaiges Nichteinhalten dieser Regeln würde ebenso bestraft werden wie ein Scheitern allgemein, und obwohl Leth über jede neue Schikane stöhnt und brummelt, macht er sich doch unverdrossen und in seiner Künstlerehre herausgefordert ans Werk, dreht auf Kuba, im Rotlichtbezirk Bombays, in Brüssel oder sucht in Austin/Texas einen Animationsfilmer auf um sich Rat zu holen, und kommt jedesmal zurück nach Dänemark mit einem Film, der seine Aufgabe mit Geschick und viel künstlerischem Erfindungsgeist erfüllt hat, zum wachsenden Verdruß und auch Erstaunen von Triers.
Zuletzt muß Leth einen Text des jüngeren verlesen, und erst hier eröffnet sich uns die ganze Bandbreite dieser eigenartigen und auch einzigartigen künstlerischen Wette: Von Trier wollte im Grunde sein Idol, dessen „Der perfekte Mensch“ von 1968 immer sein Lieblingsfilm gewesen war, herausfordern, übertrumpfen, ausstechen und hätte die folgenden „Züchtigungen“, wie er es nennt, nur zu sehr genossen, weil sie ihm das Gefühl von Macht und Überlegenheit gegeben hätten. Was von Trier dabei so bemerkenswert macht, ist seine Ehrlichkeit, all dies ganz unumwunden zuzugeben, womit er einerseits sich selbst den Part des Bösen gibt und andererseits eine Menge Spannung in die ganze Angelegenheit bringt, während Leth eher wie ein freundlicher, gemütlicher Onkel wirkt, der gute Miene zum bösen Spiel macht, eher mit amüsierter Neugier ans Werk geht und den grimmigen Ehrgeiz seines jüngeren Kollegen staunend betrachtet, wohl wissend, daß ihm solche Ambitionen nunmehr fremd geworden sind. Aber von Trier reizt ihn doch, lockt ihn noch mal aus dem Exil, revitalisiert seine Inspiration als Filmermacher, kreativer Künstler und wacher Geist und gibt dem gesamten Projekt die entscheidenden Impulse, auf die Leth dann jedesmal kongenial reagiert.
Was sich hier wie ein überaus spannendes, originelles und reizvolles Experiment ausnimmt, erscheint auf der Leinwand leider nicht immer so gelungen und anregend, weil manches Mal ein bißchen viel Zeit mit Details vergeudet wird, die dann letztlich nicht wirklich bedeutsam fürs große Ganze sind. Die immer wieder eingeschnitten Passagen aus Leths altem Schwarzweißfilm, eine Art ironische Anthropologie mit avantgardistischem Charakter, sind oft witziger als das, was die beiden fünfunddreißig Jahre später fabrizieren, allerdings sind die Gespräche zwischen von Trier und Leth schlußendlich das Interessanteste an diesem Film, denn hier erhält man hautnah Einblick in die Arbeit des Filmemachers, in seine Ambitionen, sein künstlerisches Credo, seine Vorlieben und Abneigungen und auch sein Konkurrenzdenken in Bezug auf andere. Die beiden ganz unterschiedlichen Charaktere reiben sich genüßlich aneinander, sie haben sichtlich Spaß an ihrem Spiel und so ganz nebenbei demonstrieren sie auch noch, wie virtuos und locker sie ihr Handwerk beherrschen. Leider kann man Leths fünf Versionen nur in kleinen Bruchstücken sehen und nie in vollem Umfang würdigen, wie großartig er sich jeweils aus der Affäre gezogne hat, und das wäre mir persönlich lieber gewesen als einige langatmige Berichte von den Vorbereitungen und Dreharbeiten, aber klar, der Prozeß steht hier im Mittelpunkt, nicht so sehr das Resultat, der schöpferische Vorgang, die Umsetzung einer vorsätzlich hinterhältigen Vorgabe. Dies ist zweifellos kein Film wie alle anderen, und wenn er für meinen Geschmack durchaus etwas mehr Pep hätte haben können, muß man ihn doch als ziemlich einmalig und in vielem auch sehr aufschlußreich würdigen. (24.9.)