Divoké vcely (Wilde Bienen) von Bohdan Sláma. Tschechien, 2001. Tatiana Vilhemová, Zdenĕk Raušer, Pavel Liška, Vanda Hybnerová, Marek Daniel, Zuzana Kronerová, Jaroslaw Dušek, Eva Tauchenová
Über die vielfältigen Vorzüge tschechischer Filme durfte ich mich in diesem Jahr schon einmal auslassen, und es ist ein ebenso seltenes wie großes Vergnügen, diese Erfahrung schon wenige Monate später noch einmal machen und bestätigen zu dürfen. Dabei sind die oberflächlichen Unterscheide der beiden Filme beträchtlich: Der eine war eine Komödie aus der großen Stadt, und dies hier ist eine Komödie vom Land, und zwar wirklich vom allerländlichsten Land, von dort, wo das Zauberwort Kapitalismus noch mehr eine Legende ist und lediglich als vage illusionäre Vorstellung in den Köpfen der Bewohner eines kleinen Dorfes am Waldrand. Man lebt dort eigentlich wie immer, vergessen, oder besser niemals zur Kenntnis genommen von der großen Welt, lebt als Waldarbeiter, Hure, Kioskverkäuferin, Säufer, Hausfrau und Mutter, Viehtreiber und so weiter. Es wird viel gesoffen, wenig gezahlt, viel Geld im Spielautomaten und für käufliche Liebe verjuxt, und der alljährliche Höhepunkt ist der besonders durch Miloš Forman sprichwörtlich gewordene Feuerwehrball. Dort kulminieren also auch diesmal alle Konflikte und Sehnsüchte, dort schnappen sich der linkische, weltfremde Kaja und sein erfahrenerer Bruder ihre jeweiligen Traumfrauen, wobei es für Kaja das allererste Mal ist, dort erlebt der sonst so coole und sieggewohnte Michael-Jackson-Imitator Ladja sein großes Waterloo, dort wird getanzt, gefeiert, gerauft, gegrölt und was sonst so des Menschen Herz erfreut. Am nächsten Morgen haben sich zwar die zuvor so erhitzten Gefühle wieder halbwegs beruhigt, doch ein kleines bißchen lächeln tun die Girls hinterm Kiosktresen doch mal zur Abwechslung.
Verschmitzt sagte ich über „Frühling im Herbst“, und haargenau diese Bezeichnung umreißt auch diesen Film. Er kommt teilweise etwas launig, derb, ländlich-erdig daher, überrascht dann zwischendurch mit poetischen und schönen Landschaftsbildern, vor allem aber ist er an den Leuten in dieser Abgeschiedenheit interessiert und daran, was sie eigentlich dort hält. Der Kommunismus ist besiegt, es lebe die Freiheit, doch wenn man es genau nimmt, dürfte der Unterschied zu früher höchst marginal sein. Heute gibt es vielleicht Handys, Mikrowellen, Pepsi und Michael Jackson, Digitalkameras und coole Sonnebrillen für die Stritzis aus dem hippen Prag, aber wirklich frei ist dadurch niemand geworden, das Leben draußen im Wald ist genauso grau und matschig und ärmlich wie eh und je, Wasser gibt’s nur im Brunnen, der Strom wackelt ständig, und sogar die unvermeidlichen, allgegenwärtigen Masten mit den unentwegt schallenden Lautsprechern sind noch von früher erhalten geblieben, nur daß nun nicht mehr die Worte des großen Vorsitzenden ins Land geblökt werden, sondern irgendwelche debile Werbesprüche. Es hilft kein jammern, es hilft kein Klagen, den Lautsprechern kann man den Schluck abdrehen, sonst aber bleiben nur zwei Alternativen: Am Ort bleiben und die Dinge so hinnehmen, wie sie eben sind, oder losziehen in die große Stadt und schauen, was sich machen läßt. In sehr treffenden kleinen Szenen gelingt es Bohdan Sláma, sehr viel über die Menschen und ihre Biographien auszusagen und insgesamt sehr viel über die Bedingungen, unter denen hier am A...der Welt nach wie vor gelebt wird. Mag es in den fernen Städten allüberall Zeichen des glorreichen Fortschritts und der Anbindung an Wohlstand und Modernität geben, hier ist die Zeit seit Jahrzehnten stehen geblieben, man arrangiert sich, ertränkt den Kummer im Schnaps, in der Hurerei, im miesepetrigem Frust, manche werden philosophisch, anderen hängen unschlüssig herum, manche warten auf den Mann für’s Leben, wieder andere verfallen der Spielsucht, und jeder kennt die Schwächen der anderen und die eigenen und weiß, man muß sich in dieser Gemeinschaft zusammenraufen.
Daraus ist nun kein bukolisches Dorfidyll geworden, sondern eine wunderbar gespielte Farce über den Übergang von einem System ins nächste und was der gebracht hat für den „kleinen Mann“, ein kichernd-burlesker Schwank ohne den kleinsten Hang zur Romantisierung, sondern mit der ganz typischen, unnachahmlichen osteuropäischen Mischung aus wüstem Humor und ebensolcher Verzweiflung. Beiden Tschechen überwiegt im Grundton eher noch der Humor, etwas weiter östlich wird’s dann sehr oft deutlich düsterer. Als Korrektiv zur westlichen Sichtweise der Welt sind diese Filme nach wie vor absolut unerläßlich und nötig. (6.4.)