9 Songs (#) von Michael Winterbottom. England, 2004. Kieran O’Brien, Margo Stilley
Jaja, der Michael. Der Michael ist ein toller Regisseur ohne Frage, ebenso mutig wie sperrig wie fleißig und sowieso. Nach seinem letzten fast dokumentarischen Immigrantenfilm, der dermaßen spröde und streng und fern von allem war, daß man kaum noch einen Zugang dazu fand und erst recht nicht zu den Menschen darin, hat er sich jetzt was neues ausgedacht, um uns ein wenig vors Köpfchen zu stoßen, er hat also eine Story genommen und dann einfach ein halbes Pfund rausgehackt und uns die Reste hingeworfen, so, jetzt seht zu, was ihr damit anfangen könnt.
Die Story geht wahrscheinlich so: Matt erforscht von Berufs wegen das Klima und die Geschichte der Antarktis und Lisa kommt als Studentin aus den USA rüber nach London, jobbt ein bißchen und ist über kurz oder lang wieder auf dem Abflug. Die beiden fangen eine Beziehung an, gehen in viele Konzerte aktueller Bands, sehen sich aber auch Michael Nymans sechzigsten Geburtstag an, und haben massig Sex von der heißen Sorte, dann geht Lisa zurück in die Staaten und Matt fliegt wieder über dem Eis herum.
Geblieben sind uns von alldem knappe siebzig Minuten und das: Ein paar eingesprengte Bilder und Abhandlungen über das Eis und was es an Aufschlüssen über die Erdgeschichte bietet, dann ein paar Konzertauftritte von Leuten wie Black Rebel Motorcycle Club, Von Bondies, Super Furry Animals, Franz Ferdinand, Primal Scream usw., und schließlich ein bißchen Privatgeplänkel der beiden und reichlich Sex von der heißen Sorte und auch von der ganz expliziten Sorte. Unter den Umständen, die uns Winterbottom hier bietet, interessieren mich aber weder bruchstückhafte geologische Exkurse, noch die jüngsten Stars des Britpop oder meinetwegen des Garagenrock (die interessieren mich sowieso nicht so doll) und auch nicht oberflächliche und letztlich kaum tragfähige Dialoghäppchen aus der Beziehungskiste. Mich interessiert nur Sex von der heißen Sorte, warum soll ich’s nicht zugeben, und den kriege ich hier extraheiß serviert von zwei Schauspielern, deren Mut zur Selbstentblößung ich nur bewundern kann und die das wirklich klasse spielen, wenn man überhaupt noch von spielen reden kann. In ihren Akten liegt eine Radikalität und Intimität, die ich ebenso aufregend wie spannend finde, die Oshima einst stilprägend vorgemacht hat, und die Winterbottom wegen mir gar nicht mit den anderen Handlungselementen hätte verschneiden müssen. Lisa und Matt sind dabei nicht so schwierig wie das Paar aus Chéreaus „Intimacy“, sie sind eigentlich ziemlich sympathisch und relaxt, sie haben Spaß beim Sex und lachen und freuen sich, und genau so stelle ich mir so eine Angelegenheit auch vor, aber leider hat sich Winterbottom zu dieser letzten Reduktion dann doch nicht entschließen können. So kriegen wir von allem ein bißchen, letztlich aber zu wenig, eine Stückelei, deren Sinn sich mir nicht ganz erschlossen hat, aber wahrscheinlich liegt beim fiesen Mike der Sinn genau darin, daß wir uns alle am Kopf kratzen und uns verwundert ansehen, wenn wir aus dem Saale eiern, und so ungefähr waren auch die Reaktionen der Zuschauer. Kein Film wie alle anderen, natürlich nicht, aber so wie er ist längst nicht so gut wie er hätte werden können. (20.7.)