A history of violence (#) von David Cronenberg. USA, 2005. Viggo Mortensen, Maria Bello, Ed Harris, William Hurt
Mister Cronenberg, das weiß man seit vielen Jahren, ist ein Mann fürs Extreme, fürs Abgründige und auch Sperrige, seine mal skurrilen und mal finsteren Visionen sind immer noch für Diskussionen oder Provokationen gut, nicht immer jedermanns Geschmack – und auch nicht immer mein Geschmack – aber auf jeden Fall beachtenswerter als neunzig Prozent des gängigen Outputs. Mit seinen Filmen ist es eigentlich jedesmal wieder so: Man nimmt Platz in gespannter Erwartung und der Sicherheit, auf jeden Fall etwas Besonderes geboten zu bekommen und zumindest darin wird man eigentlich nie enttäuscht.
Und auch dieses Mal nicht. Die Geschichte von Tom Stall, eines braven Familienvaters, liebenden Ehemannes und allseits beliebten Besitzers eines Diners in einer Kleinstadt in Indiana (der ultimativen Definition US-amerikanischer Provinz). Die Tochter ist klein und süß, der Sohn groß, spätpubertierend und ein bißchen verquer aber lieb dabei, und die Gattin Edie muß irgendeinem besonders intensiven Männertraum entsprungen sein, denn solche Frauen gibt’s eigentlich nur im Traum. Dieser Traum hat eines schönen Abends ein Ende, als zwei (wie wir aus einer Vorgeschichte erfahren) rücksichtslos brutale Gewaltverbrecher Tom’s Diner ausrauben und die verbliebenen Gäste oder Mitarbeiter töten wollen. Bevor es aber dazu kommt, explodiert der zuvor so brave und stille Tom urplötzlich und macht die beiden tot. Das bringt ihm im Ort Heldenstatus, in den Medien jede Menge Präsenz ein, aber auch ungebetene Gäste. Ein unschön demolierter Ed Harris taucht auf, macht ominöse Andeutungen über Toms Vergangenheit als Killer in Philadelphia, nennt Tom überhaupt Joey und verbreitet auch bei der liebenden Gattin Angst und allmähliches Mißtrauen. Als es dann am Haus der Stalls zu einer weiteren gewalttätigen Auseinandersetzung kommt, in die auch Toms Sohn verwickelt wird, gibt es kein Zurück mehr und Tom muß der entsetzten Edie die Wahrheit sagen, daß er nämlich tatsächlich in einem früheren Leben für ein Gangstersyndikat gemordet hat, genauer gesagt für das Syndikat seines Bruders. Und der meldet sich jetzt wieder, bestellt Tom/Joey nach Philly, wo es zum letzten Showdown kommt und Tom/Joey mit seiner Vergangenheit endgültig Schluß macht (und auch mit dem Bruder und seinen Mordbuben) und dann zu seiner Familie zurückkehrt in der Hoffnung, daß die ihn wieder aufnehmen möge. Und da ihm die Tochter den Teller hinstellt, der Sohn ihm das Fleisch rüberschiebt und auch Edie den Blick wieder zu ihm aufhebt, kann man vorsichtig von einer möglichen Zukunft ausgehen.
So wie Tom/Joey zwei extrem unterschiedliche Leben lebt oder gelebt hat, so hat auch dieser Film zwei extrem verschiedene Seiten, und Cronenberg ist genau der richtige, wenn es um Extreme geht, und so werden die beiden konträren Pole in dieser Geschichte mit äußerster Intensität bebildert: Das anfängliche Familienidyll, betont aufdringlich und fast schon grotesk harmonisch (solche Familien gibt es sonst nur bei Disney) vereint sich mit den wenigen, prägnanten Szenen aus der Kleinstadt zu einem Bild völliger Friedlichkeit und Unschuld. Lauter nette Menschen, die aufeinander aufpassen, allüberall nur Liebe und Verständnis, und wenn’s mal Ärger gibt, so wie Tom Sohn ihn auf der Schule mit ein paar Angebern hat („Schwuchtel“ als das schlimmstmögliche aller Schimpfworte!), dann werden die zum Erstaunen der Rowdies absolut gewaltfrei gelöst. Provinzamerika wie aus dem Faltblatt, und manchmal denkt man auch an David Lynch, der ebenfalls triefende Idyllen zeigte, nur um sie dann genüßlich zu untergraben, nur daß Cronenberg bei seinem Projekt noch viel graphischer vorgeht. Der Einbruch der Gewalt in diese Pazifistenszenerie ist sehr drastisch bis in blutspritzende Details, der furchtbar destruktive Kreislauf, der sich nun in Gang setzt, wird in seinen psychischen und physischen Auswirkungen mit letzter Konsequenz vorgeführt, und Cronenbergs Absichten sind überaus deutlich, nur finde ich, hätte er ruhig etwas dezenter vorgehen können, bekanntlich ist aber gerade das seine Sache nicht. In Sekundenschnelle mutiert der introvertierte Tom zum eiskalten, vollkommen gnadenlosen Killer und danach gleich wieder zurück, und ähnlich wie die konsternierte Edie kriegt auch der Zuschauer diese Doppelgesichtigkeit bis zuletzt kaum unter einen Hut. Cronenberg zeigt eine fragile Welt knapp am Abgrund, zeigt Gut und Böse in ewiger Konkurrenz und Eintracht, und da er zur Vorlage eine sogenannte „Graphic Novel“ hatte, kann er dabei auch ganz schemenhaft vorgehen. Im zweiten Teil der Geschichte fehlt für meinen Geschmack ein wenig mehr Zeit, um das in seinen Grundfesten erschütterte Familien- und Eheleben ein wenig intensiver zu behandeln, es geht alles ein bißchen zu schnell, die Handlung schreitet unerbittlich fort und ein kurzes Innehalten hier und da hätte mir gut gefallen. Dennoch kann Cronenberg wieder einmal, mit tatkräftiger Hilfe seines Hauskameramannes Peter Schuschitzky, eindrucksvoll seine Könnerschaft als Erzähler und Gestalter unkonventioneller Stoffe unter Beweis stellen. Sein Film ist hochspannend, hochintensiv und in den Hauptrollen brillant gespielt. Viggo Mortensen kriegt den Schritt zurück von Mittelerde perfekt auf die Reihe und Maria Bello ist wie schon gesagt ein Traum, und sie spielt auch so. Nach dem für meinen müden Geist etwas zu sperrigen „Spider“, den ich unbedingt noch mal im Wachzustand ansehen muß, hat Cronenberg hier wieder hochklassiges, psychologisch unterfüttertes Effektkino hingekriegt und damit die Erwartungen der Konsumenten auch bis zum nächsten Film aufrechterhalten. (21.10.)