Allein von Thomas Durchschlag. BRD, 2004. Lavinia Wilson, Maximilian Brückner, Richy Müller, Victoria Mayer
Das ist so ein Film, nach dem meine Begleitung und ich übereinstimmend, oder eigentlich doch eher ohne große Worte machen zu müssen feststellten, daß einem manchmal einfach die Worte fehlen. Ebenfalls übereinstimmend darin, daß dieser Film zweifelsohne herausragend ist und daß besonders die Schauspieler herausragend sind, fiel es uns im weiteren schwer, mehr darüber zu sagen, vermutlich weil der Eindruck noch zu stark und lang anhielt, ein jeder für sich damit beschäftigt war, diesen Eindruck irgendwie zu sortieren, und deswegen ganz entgegen sonstiger Gewohnheiten eine ausführliche Besprechung dieses Kinoabends gänzlich entfallen mußte. (Ich lese zur Zeit William Faulkner, deswegen schreibe ich jetzt auch so kraus.) Und auch heute abend, mit einem knappen Tag Abstand, stelle ich fest, daß mir allzu viel nicht einfallen will außer vielleicht der ebenfalls nicht ganz neuen Einsicht, daß manche Filme einfach für sich sprechen und somit gegen unnötig ausschweifende Analysen immun sind.
Solch ein Film ist das hier, der im übrigen in bester englischer oder auch französischer Tradition steht, eine rücksichts- und kompromißlose Psychostudie, ebenso radikal wie erschreckend einfach und klar, total konzentriert auf eine kleine Handvoll Menschen und gerade in dieser Konzentration zwingend und voller Kraft. Das Porträt einer jungen Frau, deren Leben, so muß es uns jedenfalls scheinen, irgendwann mal aus den Fugen geraten oder vielleicht auch niemals in sogenannten geordneten Bahnen verlaufen ist. Gelegentliche Anspielungen auf ihre Kindheit, speziell auf den Vater, lassen eventuelle Schlußfolgerungen zu, ohne daß diese allerdings explizit bestätigt werden. Jedenfalls schlägt sie sich mit irgendwelchen Jobs durch, schlägt sich durch mit flüchtigem, hastig und wahllos konsumierten Sex, reichlich Drogen und Alkohol, und die parallelen Schnittwunden auf ihrem Unterarm signalisieren, daß sie selbst sich haßt so wie sie ist. Es gibt einen älteren Mann, der sie mit Zuhälterpose und viel Geld als Sexobjekt benutzt, aber es gibt auch die eine beste Freundin, mit der sie ihre Sorgen und Nöte halbwegs teilen könnte. Dann taucht der Student Jan auf, und das ist endlich mal einer, der mehr möchte, der auch an ihr als Mensch interessiert ist, der ihr ehrliche Gefühle entgegenbringt, doch ihre erlebten Verletzungen, ihre Angst, ihr Mißtrauen und ihr total zerstörtes Selbstvertrauen verhindern wahrscheinlich, daß sie durch ihn herauskommen kann aus dem schlimmen Kreislauf von letztlich selbstverursachtem Frust und noch mehr Schnittwunden.
Nur ein paar Leute wie gesagt, sehr intensive Bilder aus dem Ruhrpott, eine ruhige, präzise, knappe Erzählweise, ein sehr starkes, glaubwürdiges, jegliches hohle Geschwätz vermeidendes Drehbuch und eben vor allem diese Schauspieler, die den Film sowieso über jede Kritik erheben, weil sie aus dem, was vielleicht nur eine frustige Loserstory sein könnte, ein wirklich tiefes, äußerst bewegendes menschliches Drama machen. Ob uns Marias Lebensstil vielleicht fremd oder unverständlich ist oder nicht, wird bald zur völligen Nebensache, weil sie uns dennoch nahe kommt, wir ungeachtet aller Vorbehalte oder auch Vorurteile Anteil nehmen an dem, was sie erlebt, an ihren Hoffnungen, Ängsten, Verzweiflungen und Niederschlägen, an ihrem aufflammenden Gefühlen, an ihrer Liebe, ihrer Eifersucht, ihren Launen, ihrer völligen Verletzlichkeit, ihrem totalen Ausgeliefertsein. Dabei ist Maria keine stilisierte Kunstfigur, sondern in jedem Detail bestechend realistisch dargestellt und jederzeit in unserem Alltag wieder auffindbar, und genau das glaube ich bringt mir diesen Film so nah, sein Realismus, sein Verzicht auf Pathos oder groß ausgestellte Emotionen. Emotionen gibt es natürlich, und noch mehr werden in uns geweckt, aber ohne daß deswegen große, sichtbare Anstrengungen unternommen werden müßten, alles geschieht fast wie von allein. Das Ende ist womöglich schlimm – Jan hat Maria zwar einmal mehr gefunden, ist einmal mehr bereit, sie anzunehmen wie sie ist, sich ihr von neuem zu nähern, doch ihr Blick geht zur Seite, sie scheint nicht an ihr eigenes Glück glauben zu wollen. Nur eine ganz kurze Szene, nur ein einziger Blick, und auch darin liegt die Kunst des Films, daß schon damit alles gesagt ist. Ein sehr harter Brocken zuweilen, aber auf jeden Fall einer der eindrucksvollsten neuen deutschen Film der letzten Jahre. (21.9.)