Der Tag als Bobby Ewing starb von Lars Jessen. BRD, 2004. Franz Dinda, Gabriela Maria Schmeide, Peter Lohmeyer, Richy Müller, Nina Petri
„Coming of age during the plague of Reagan and Bush...“ singt meine derzeitige Lieblingssängerin in einem ihrer schönsten Songs, und man kann sich annähernd vorstellen, welcher Horror das gewesen sein muß. Aber ich sag dir was, Ani, coming of age during the plague of Kohl and Zimmermann war auch nicht gerade schön. Es kam so richtig über mich, als die diese widerwärtige Warzenfresse nach ewigen Jahren hier mal wieder auf der Leinwand sah – stimmt ja, diese eklige bayerische Schmeißfliege war einst unser Innenminister! Und – wir leben immer noch!
Das ist also ein coming-of-age-Film aus den Achtzigern. Die Achtziger wohlgemerkt waren nicht die Siebziger! Die Mode war ein wenig besser, die Musik war sehr viel schlimmer, die Politik auch (siehe oben), die Paranoia blieb in etwa gleich, und hier wie da ist reine Nostalgie unangebracht. Andererseits hasse ich Filme, die sich aus heutiger Sicht über diese Zeit lustig machen und vor allem darüber, was jetzt natürlich wie kindliche Spinnerei aussieht und damals als hehre Ideale gehandelt wurde. Ich hoffe, es wird dereinst ein Jahrzehnt kommen, in dem man wiederum über die momentane Phase des totalitären Kapitalismus und Egoismus Spott ausgießen kann, allein mir fehlt der Glaube.
Aber so ein Film ist das hier auch nicht, gottseidank. Natürlich ist er komisch, weil halt vieles komisch ist, wenn man aus einer gewissen Distanz darauf blickt, aber er denunziert nicht und er fühlt sich nicht überlegen, weswegen wir uns auch als Coolcats des totalitären Kapitalismus diesen Müslispinnern von einst nicht überlegen fühlen – ich tue es jedenfalls nicht. Die Komik beinhaltet stets Sympathie und vielleicht auch eine wenig Trauer darüber, daß die Welt halt nicht so gelaufen ist, daß die Zeit einfach wie eine Walze drübergefahren ist über die Müslispinner und ihre Ziele, und daß selbige Müslispinner zum großen Teil darüber kaputtgegangen sind, ausgewandert, in Alkohol ersoffen oder in radikalen Hirngespinsten verirrt.
Wir schreiben also 1986, Schauplatz ist die Wilstermarsch an der Elbe zwischen Glücksstadt und Brunsbüttel, und natürlich geht es um Brokdorf und die damals geplanten weiteren Aufbereitungsanlagen an der Unterelbe. Die große Schlacht ist bereits geschlagen, der Volkszorn hat resigniert wie üblich, nur ein paar aufrechte Müslispinner, die WG-mäßig in einem ziemlich abgewrackten Bauernhof hausen, halten noch die Fahne der Tapferen hoch. Zu ihnen Hanne und ihr pubertierender Sohn Niels, die in Bremen Schiffbruch erlitten haben und nun neu anfangen wollen – Niels allerdings weniger, denn das Leben unter Landeiern ist für einen coolen Pubi aus der Großstadt natürlich nicht gerade die Erfüllung aller Träume. Dazu kommt das tagtägliche, längst ziellose und selbstzweckhafte Endlosgelaber der WG-Leute, das wenig romantische Landleben an sich, und interessant wird’s erst für Niels, als ein hübsches Mädchen seinen Weg kreuzt, sofort sein Interesse weckt, aber natürlich, wie das bei Mädchen nun mal so ist, auch allerhand Probleme mit sich bringt. Zwischendurch gibt’s dann zunehmend hitzige Diskussionen über Gewalt oder nicht, gibt’s obligatorisches Gerangel mit den Bullenschweinen am Bauzaun von Brokdorf, gibt’s jeden Dienstag (war das Dienstag???) „Dallas“ im Fernsehen (soviel zu politischen Idealen!), und gibt’s dann eben jenen Tag, an dem Bobby Ewing starb und der offenbar in der Biographie vieler Menschen einen gewissen Wendepunkt darstellt. Nun ja. Vor allem aber gibt es jenen Tag, an dem Tschernobyl passierte, und der dann wirklich einen Wendepunkt im Leben vieler darstellte. Nicht nur bedeutete er eine vernichtende Ernüchterung für alle, die an so etwas Ökologie glaubten, er setzte auch schlagartig sehr tiefsitzende, existentielle Ängste frei, die bis heute nachwirken und er machte endgültig der ganzen Welt deutlich, wie verletzlich und ausgeliefert wir im Grunde sind. Unsere WG wird durch dieses Ereignis jedenfalls gesprengt – Peter flüchtet nach Portugal, andere reisen ebenfalls ab, die einen, weil sie sich kaputtgesoffen haben, die anderen, weil sie lieber mehr Randale machen wollen, aber ein paar bleiben auch, entweder wegen des Mädchens (Sohn) oder weil sie keine Alternativen haben (Mama). Bobby Ewing jedenfalls ist dann irgendwann zurück gekommen, alles war nur ein Traum, und die weiteren Anlagen außer Brokdorf wurden auch nicht gebaut.
Manchmal finde ich die Charaktere hier ein wenig zu schematisch, aber das ist fast unausweichlich, denn es müssen schließlich all die Typen präsentiert werden, die sich damals so tummelten. Wir finden also den Vernünftigen, der lieber drüber reden möchte, den Wilden, der lieber Molotowcocktails schmeißen würde, die erste Unpolitische, die sich eher für Jungs interessiert, die zweite Unpolitische, die sich eher für die Flasche und Dallas interessiert, und den lieben alten Opa aus der Marsch, der seinen alten Hof den jungen Leuten zur Verfügung stellt, und jetzt zuguckt, was daraus wird. Wir haben auch die Dorfbewohner mit ihrem ganzen Spektrum und den daran anknüpfenden Konflikten mit den ungeliebten Müslispinnern in der Nachbarschaft. Hinzu kommen nun die eifrige Sozialpädagogin, die nach neuen Aufgaben sucht, und den erwähnten coolen Stadtpubi, der befürchtet, sich nur zu langweilen. Aus diesem Personal wird dann doch eine amüsante, manchmal auch nachdenkliche Geschichte gesponnen, die zumindest zu einem gewissen Teil (Tschernobyl, Dallas) eigentlich jeden betrifft, der in den Achtzigern groß werden mußte, die streckenweise großen Unterhaltungswert entwickelt, zu platte Klischees meistens vermeidet und natürlich mit einem prominenten Ensemble aufwartet, das sich souverän zwischen Humor und Ernst bewegt. Für mich ist das sicherlich nicht die ultimative Auseinandersetzung mit jener Zeit, aber auch weder die befürchtete Denunziation noch dumpfe Nostalgie. Das ist doch schon was. (10.8.)