Aus der Tiefe des Raums von Gil Mehmert. BRD, 2003. Arndt Schwering-Sohnrey, Eckhard Preuß, Mira Bartuschek, Christoph Maria Herbst

   Aus der Tiefe des Raums kommt er, eigentlich eher aus der Tiefe einer Badwanne. Dort nämlich entsteht, ähnlich wie einst der Golem, eines schönen Abends zu Beginn der Sechziger aufgrund rätselhafter chemischer Reaktionen in einer Suppe aus Entwicklerflüssigkeit und diversen kosmetischen Substanzen aus einem kleinen, metallenen Tipp-Kick-Männchen eine lebensgroße Gestalt mit halbwegs menschlichen Zügen, während der Besitzer des Männchens, der angehende westdeutsche Tipp-Kick-Meister Hans Günther, nebenan auf dem Sofa die neue Bekanntschaft mit der feschen Fotografin Marion vertieft. Und so erleben wir die Geburt des vielleicht ersten Glamourstars des deutschen Fußballs, einer Ikone mit wallend blonder Mähne, unnachahmlicher Freistoßtechnik und riesengroßen Füßen. Eifrig bewacht von Zimmerkollege Hans-Hubert („nenn mich auf dem Platz doch einfach Berti“) und schließlich wehmütig losgelassen vom Ziehvater Hans Günther findet unser Siegfried in Blond (weil gerade auf die Schnelle keine andere Perücke greifbar war) unter großen Anstrengungen den Weg ins wahre Leben, in jener Zeit, die eigentlich nur eine Verlängerung der grausigen Fünfziger war, bekanntlich keine leichte Sache. Hans Günther selbst darf sich am Ruhm seiner einstigen Nummer 10 nur noch anhand von Videofilmen erfreuen. Er stirbt viel später in einem Krankenhaus an Lungenkrebs, nicht bevor er allerdings der Nachtschwester die ganze Geschichte erzählt hat.

   Eine schier unglaubliche Geschichte natürlich, und man muß schon über eine total irre Phantasie verfügen, um sich solch einen Wahnwitz auszudenken. Aber was soll’s: Der einzig wahre Günther Netzer hat das Projekt offenbar abgenickt (und damit sehr viel Coolness bewiesen!) und uns Zuschauern kann es sowieso nur recht sein, denn soviel Spaß im Kino hat man wirklich nicht häufig. Die innige Liebeserklärung an die Zeit und ihre mehr als skurrilen Begleiterscheinungen ist ebenso gelungen wie die Hommage an das Tipp-Kick, ohne das wohl keiner von uns Jungs groß geworden ist, und an die Besessenen, die sich allwöchentlich in den Kneipen des Rheinlandes und Pütts versammelt haben um den Meister unter sich auszumachen, die sich gleichzeitig souverän über alle Gebote des Erwachsenseins hinwegsetzten und ungeniert wieder zu kleinen Knaben mutierten, mit nachsichtigem Kopfschütteln entgeistert beobachtet vom anderen Geschlecht, dem die Geheimnisse dieser und ähnlicher Rituale für immer verschlossen bleiben werden. Wir erleben auch die Geburt des VFL Borussia Mönchengladbach, jenes Kultvereins, dem noch heute ungeachtet aller sportlicher Krisen die Herzen vieler Fans gehören.

   Alle, die den Film, gemacht haben, sind ganz offenbar mit Hingabe, Liebe und Herzblut dabei, das sieht und spürt man in jeder Minute, und deshalb ist der Film auch so witzig und charmant geworden. Man muß ihn einfach gesehen haben, um ihn zu glauben, aber auf jeden Fall habe ich schon lang nicht mehr so gelacht in einem deutschen Film. (12.1.)